Der Rausch einer Nacht
und schien wohl keine Gelegenheit gefunden zu haben, es überzustreifen. Vielleicht war ihr das in ihrer Panik auch gar nicht eingefallen.
Cole stellte sich hastig breitbeinig in den Eingang und hinderte Charles am Herauskommen. Dabei traf er den Mann mit dem Kaffeebecher an der Brust, und der Kaffee spritzte auf Haywards Hemd.
»Verdammt noch mal...«, begann sein Boß, beherrschte sich dann aber und wischte sich die Tropfen vom Hemd.
»Tut mir sehr leid«, sagte der Pfleger.
»Ach, macht nichts. Ich kann mir ein frisches anziehen. Warum legen Sie unsere Neuerwerbung nicht an die lange Leine und lassen sie etwas herumlaufen? Ich habe mir das Pony nur eine halbe Stunde lang ansehen können, denn mehr Zeit blieb mir nicht auf der Auktion in Memphis.«
Cole drehte sich um und machte sich auf den Weg. Charles sah ihm einen Moment befremdet hinterher. »Hören Sie, stimmt irgend etwas nicht? Sie wirken heute abend reichlich nervös.«
Der Pfleger schüttelte den Kopf und wartete auf seinen Chef. Während er Charles zu der Box folgte, hoffte er, daß Jessica die Flucht gelungen war. Eigentlich konnte nun nichts Schlimmes mehr passieren, und darüber hinaus hätte er wenigstens für heute nacht Ruhe vor ihren Nachstellungen.
Doch er freute sich zu früh.
»Das ist aber eigenartig«, meinte Hayward, als sie sich kurz vor der Kammer befanden. »Ich habe doch deutlich gesehen, wie Sie vorhin die Tür geschlossen haben.«
»Wahrscheinlich ist sie von selbst wieder aufgesprungen«, begann Cole, hielt dann aber den Atem an, als Hayward zu dem Raum ging und mit verwirrter Miene hineinspähte, als habe er dort etwas gesehen.
»Oh, Sie hatten wohl Besuch, als ich hereingeplatzt bin«, sagte Charles. »Und jetzt ist die junge Schöne auf und davon ... oder versteckt sich hier irgendwo.«
Der Pfleger entdeckte jetzt, worauf sein Chef starrte -auf einen weißen Spitzen-BH, der neben dem Bett auf dem Boden lag. Doch bevor Cole etwas sagen oder unternehmen konnte, fiel Charles etwas viel Verräterisches ins Auge. Seine Miene wechselte von Verblüffung zu Vorwurf und zu heller Wut.
»Sind das da nicht meine Weingläser?« fragte er streng, trat dann rasch ein und nahm die Flasche in die Hand, um das Etikett zu lesen. »Und das ist Jessicas Lieblingswein...«
»Ich habe mir die Flasche ausgeborgt«, erklärte der Pfleger hastig. »Nein, ich habe sie gestohlen ...«, fügte er noch hinzu, um das Unvermeidliche zu verhindern.
Doch Hayward stampfte schon zum Seiteneingang, riß die Tür auf und spähte in die Nacht, wo er gerade noch mitbekam, wie etwas, das sich in der Dunkelheit weiß abhob, durch die Hintertür ins Haus verschwand.
»Sie elender Schweinehund!« brüllte Charles und fuhr herum. Seine Rechte traf Coles Kinn mit einer Kraft, die er dem älteren Mann nicht mehr zugetraut hätte. »Sie verdammter Dreckskerl!«
Jessica glaubte sich schon in Sicherheit. Sie war ins Haus gelangt und rannte jetzt die Treppe zum Schlafzimmer hoch. Doch als sie aus dem Fenster schaute, entdeckte sie ihren Mann, der zornbebend vom Stall herangelaufen kam.
»Oh, mein Gott!« keuchte sie und zitterte wie Espenlaub. Ihr ganzes behagliches Leben in Luxus und Reichtum drohte zusammenzubrechen. »Was soll ich bloß tun?« jammerte sie und sah sich voller Angst nach einem Weg um, der Katastrophe zu entgehen.
Ein Stück weiter den Flur entlang drehte Barbara ihre Stereoanlage noch weiter auf, und plötzlich kam Jessica die rettende Idee.
»Liebes!« rief die Mutter, als sie in das Zimmer ihrer Tochter stürmte und gleich hinter sich abschloß.
Das Mädchen blickte erschrocken von dem Magazin auf, in dem sie gerade gelesen hatte, und ihre Miene wurde immer besorgter. »Mom, was ist denn geschehen?«
»Du mußt mir helfen, mein Schatz. Tu nur das, was ich dir sage, und stell keine Fragen. Ich revanchiere mich auch bei dir, ehrlich.«
Kapitel 10
Dallas, 1996
»Guten Tag, Mr. Harrison, und meinen herzlichen Glückwunsch«, rief der Wächter, als Coles Limousine durch den Haupteingang fuhr und auf das fünfzig Hektar große ultramoderne Firmengelände von Unified Industries gelangte, das sich nicht unweit von Ross Perots E-Systems befand. Eine vierspurige Straße erstreckte sich durch die sanfte Hügellandschaft, führte durch die Parkanlage und vorbei an dem großen Springbrunnen und dem künstlich angelegten See. Bei angenehmen Temperaturen ließen sich die Angestellten, die in den sieben weitflächigen, spiegelverglasten Bürogebäuden
Weitere Kostenlose Bücher