Der Rebell - Schattengrenzen #2
Augen. »Die waren bei ihr vollkommen weg.«
Daniels Kiefermuskeln arbeiteten. Er schwieg.
»Marc war da. Im Grund deckte sich der Ort mit dem Zimmer, in dem ich starb. Da es sein Kinderzimmer war …« Oliver ließ den Rest offen. Ihm rann ein Schauder über den Rücken, als er daran dachte. Eigentlich wollte er die Bilder nicht wieder heraufbeschwören.
Zumindest wollte sein Magen sich nicht noch einmal umdrehen. Oliver atmete erleichtert aus.
»Vielleicht habe ich mir das eingebildet, aber Marc lag anfänglich wie eine Wachspuppe da, bevor er plötzlich erwachte. Seine Augen glühten und er schnappte nach mir.«
Oliver hielt seine Finger ins Licht. »Er kam mir wie ein tollwütiges Tier vor, total durchgeknallt. An ihm war nichts Menschliches mehr. Elli hingegen«, er zuckte die Schultern. »Sie verhielt sich nicht anders als sonst, auch wenn sie aussah, als wäre Vater gerade erst über sie hergefallen.«
»Hast du mehr aus deiner Familie gesehen?«
Oliver nahm die Hand herunter und schüttelte den Kopf. »Eigentlich dachte ich, dass unsere Mutter unten wäre, wo er sie umgebracht hatte. Aber noch während der Sache mit Marc bin ich zurückgeholt worden.« Er suchte nach Daniels Blick, fing ihn ein und hielt ihn. »Ich erinnere mich nur, dass ich für einen Moment diesen grauen Dino gesehen habe – zumindest glaube ich, dass es einer davon war. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Marc versuchte, mir in die Hand zu beißen.« Er zögerte. »War das Ding schon ein Teil von mir?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Sicher nicht. Es gibt unzählige Wächter. Sie sind überall in dieser Zwischenwelt, um solche Wesen wie das, was aus Marc wurde, zurückzudrängen.«
»Sie sind so etwas wie die Polizei?«
Daniel blinzelte ungläubig, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach.
Was war denn nun wieder so witzig? Der Vergleich lag doch nah. Schließlich tauchten sie dann auf, wenn etwas nicht stimmte. In dem Gedankengang verbarg sich eine Schwäche. Wo hatten sie sich aufgehalten, als die Erscheinung Chris angriff?
Daniel kicherte noch immer.
»Kannst du mal wieder ernst werden?« Gereizt schlug Oliver ihm auf die Brust.
»Autsch.« Daniel presste die Zähne aufeinander, grinste aber weiter. Nach einem Moment entspannte er sich. »Der Vergleich war echt gut.«
Mühsam zwang er sich zu einer ernsten Miene.
»Was hat dich daran so amüsiert?«
»Sie sind nur so lang brauchbar, bis sie den letzten Rest Menschlichkeit verlieren«, entgegnete Daniel sichtlich gefasster. »Was danach aus ihnen wird, sind reißende Bestien ohne Verstand und ohne Empfindungen. Zumeist jagen und zerstören sie vollkommen wahllos Geister, also auch die Seelen, die sich ohne böse Absicht an das Leben gebunden haben.«
Sie konnten also zu einer weitaus größeren Gefahr werden als all die Erscheinungen. Oliver schob sich instinktiv dichter an Daniel heran und zog die Decke weiter über sich.
»Du meinst, sie machen keinen Unterschied mehr zwischen Gut und Böse?«
»Löse dich besser von diesem Schwarz-Weiß-Denken. Sie jagen letztlich nicht Gut und Böse, sondern nur potenzielle Gefahren.«
»Welcher Art sind diese Gefahren?«
Er lachte humorlos auf. »Alles, was den Übergang in die Realität nimmt und den Lebenden willentlich oder unwillentlich Schaden zufügen kann.«
In der Theorie steckte ein Denkfehler. Oliver löste sich. Er richtete sich auf, um Daniel in die Augen sehen zu können. »Wo waren sie, als Chris angegriffen wurde?«
Hilflos zuckte Daniel die Schultern. »Über ihre Art der Organisation und Struktur weiß ich wenig. Zumeist tauchen sie auf, bevor eine Erscheinung körperlichen Schaden anrichten und einen Menschen besetzen kann. Warum das ausgerechnet bei Chris nicht der Fall war, kann ich dir nicht erklären.«
Die Antwort klang nicht befriedigend. »Woran könnte es liegen? Vielleicht an Chris oder an Micha?«
»Vielleicht am Haus. Dieser alte Kasten ist von etwas sehr Negativem durchdrungen. Möglich, dass das Haus selbst die Wächter abschreckt.«
»Wäre das tatsächlich möglich?« Oliver legte sich wieder neben ihn. »Sie sind doch sehr stark.«
»Aber nicht unbesiegbar, besonders, wenn sie noch sehr viel Menschlichkeit in sich tragen. Spätestens dann reagieren sie nicht anders als die Seele, zu der sie gehören. Sie haben schließlich auch Ängste.«
»Sind sie denn immer Abspaltungen derer, die zurückgeholt wurden?«
Daniel wiegte den Kopf. »Das, was ich jetzt sage, ist eine Annahme, nagele
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