Der Rebell - Schattengrenzen #2
zu abstrakt war, um mit Menschen zu kommunizieren. Zugleich vermittelte er zaghafte Gefühle, nein, rein körperliche Empfindungen wie das Ziehen im Magen, das aufgeregte Flattern der Nerven, was kraftraubend war, die Sehnsucht nach Wärme und Berührungen. Aber es waren Olivers Gefühle, die er in Daniels Nähe empfand. Vertraut, warm, nah … War das Daniel?
Oliver musterte das Geschöpf. Sein verspieltes Verhalten wich dem typischen Ernst. Es rückte näher. Als es still seinen Kopf in Olivers Schoß legte, entblößte es seine Gefühle. Es vertraute ihm.
Er musste seine Meinung revidieren. Der Wächter unterschied sich durchaus.
Der Druck ließ nach. Dort, wo eben noch der knochige Schädel lag, strömte kalte Luft nach. Allgemein kühlte es ab …
Er dämmerte in die Wirklichkeit hinüber.
Unter ihm wippte die Matratze nach. Müde hob er die Lider. Daniels schlanke, hochgewachsene Gestalt hob sich schwach gegen die Lichter der nächtlichen Stadt ab. Reglos stand er am Fenster, beide Hände in den Hosentaschen.
Was hatte ihn geweckt?
Oliver erhob sich. Seine Glieder knackten, als er sich streckte. »Worüber denkst du nach?«
Daniel drehte sich nicht um. »Über die beiden Fälle, die als Gemeinsamkeit deine Familie haben.«
Langsam, bedacht leise, ging Oliver zu ihm.
Gab es vielleicht mehr Gemeinsamkeiten? Nichts wies darauf hin, aber das unterschwellig bohrende Gefühl, zumindest eine Brücke zwischen den Leichen bei Walter und der Mordnacht vor einem Dreivierteljahr zu konstruieren, wurde er nicht los.
Es war ja nicht einmal klar, dass Walter in irgendeiner Weise etwas mit den Toten zu tun hatte. Das Haus beherbergte neun Mietparteien. Über die Jahrzehnte wechselten die Bewohner, garantiert öfter als nur einmal. Sicher lebte außer Walter niemand mehr in dem Haus, der den Zweiten Weltkrieg erlebt hatte. Wie hoch standen also die Chancen, dass der alte Mann etwas damit zu tun hatte?
So weit die Theorie.
Andererseits gehörte den Markgrafs das ganze Gebäude. Wie konnte also etwas passieren, ohne dass Walter oder dessen Vater etwas davon erfuhren?
Oliver lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen in den Fensterrahmen und musterte Daniel. Er wirkte abwesend.
»Gibt es eine Verbindung?«
Daniel hob die Schultern, schwieg aber.
»Walter hat sich im Keller so extrem seltsam verhalten, dass ich mir sicher bin, er wusste, was wir hinter der Wand finden würden.«
»Kannst du daraus eine Verbindung zu den Morden an deiner Familie herstellen?« Daniel wartete gar nicht auf eine Antwort. Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich.«
Müdigkeit breitete sich in Oliver aus. Warum war er so enttäuscht, dass diese beiden seltsamen Fälle nichts miteinander zu tun hatten? War das nicht paradox? Schließlich tat er sich selbst keinen Gefallen, anzunehmen, dass es in seiner Familie mehr Mörder gab.
»Verdammt.«
Daniel hob fragend eine Braue. »Olli?«
Er hob abwehrend die Hände. »Nichts, ich … kommentiere nur, was mir durch den Kopf geht.«
Er wandte sich zum Fenster um. Die Stadt lag ruhig vor ihm.
»War Camilla in der Zwischenzeit hier?«
Der Gedankensprung half vielleicht, sich anderweitig zu konzentrieren.
Sacht strich Daniel unter seinem Haar die Wirbelsäule bis in seinen Nacken herauf.
Ein wohliger Schauder rann ihm über den Rücken. Es war die Art von Nähe, die mehr darstellte, als reine Freundschaft. Hitze rann in ihm zusammen und konzentriere sich.
»Ja, sie war vorhin hier.«
Die Worte kamen leicht zeitversetzt bei ihm an. Das sanfte Streicheln erfüllte seine Aufmerksamkeit viel zu sehr. Seine Haut elektrisierte langsam. Mit einiger Nervosität bemerkte er, wie sein Herz schneller schlug, zugleich seine Atmung stockte. O bitte nicht, jetzt an Sex zu denken ging gar nicht.
Er sah über die Schulter zu Daniel. »Wenn du so weitermachst, bin ich gleich im Bad.«
Brauchte Daniel mehr Hinweise?
Daniel hielt still und ließ seine Hand schließlich sinken.
Jetzt fehlte etwas. Es fühlte sich nicht mehr gut an.
Warum ging Daniel so stark auf Tuchfühlung? Selbst der letzte Trottel musste mitbekommen haben, dass er nicht auf Frauen stand. Schreckte Daniel davor nicht zurück? Warum ließ er sich auf dieses leise Spiel ein? Wollte er mehr? Wusste Daniel überhaupt, was er tat?
Manchmal bezweifelte Oliver das. Daniel war etwa zehn Jahre älter, ein Polizist, ein Kommissar, eine Respektsperson …
Zum Teufel damit. In erster Linie war er der sanfteste und
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