Der Rebell - Schattengrenzen #2
beleuchteten die riesigen, klar gestalteten Villen, die den anschließenden Park zur Wilhelmstraße beleuchteten. Der Übergang vom Kureck zur Innenstadt. In den meisten Ladenlokalen mit ihren überteuerten Auslagen brannte Licht. Sie liefen eine Weile parallel zur Wilhelmstraße, bis Daniel ihm einen Wink gab, quer durch den Park zu gehen.
Der Warme Damm war ein weiterer Park aus der wilhelminischen Zeit, gepflegt und altertümlich, genau wie der Kurpark. Auch hier gab es eine Teichanlage mit einer Fontaine, die in der Nacht abgeschaltet wurde.
Im März 2011 hatten drei Jungen in seinem Alter einen obdachlosen Straßenmusikanten umgebracht – an diesem elenden Teich. Allein die Vorstellung dort vorbeizugehen, rief Bilder wach, die Oliver nicht gefielen. Sein Magen zog sich zusammen. Ging dieser litauische Mann auch als Geist um? »Müssen wir durch den Park?«
Daniel hielt mitten im Schritt inne. »Warum?«
»Da ist doch vor zwei Jahren der Litauer umgebracht worden.«
»Angst?« Daniel lachte leise.
Oliver nickte. Warum sollte er das verheimlichen? Daniel konnte es ihm auch so an der Nasenspitze ansehen. Vor allem bestand Grund zur Sorge. Möglicherweise band der Mord diesen Mann immer noch an diesen Ort.
Daniel zögerte. Er sah sich kurz um, nickte dann aber. »Ich kann’s verstehen, Olli.«
»Hast du an dem Fall mitgearbeitet?«
» Kestutis Vaicackas ?« Er schüttelte den Kopf. »Damals steckte ich noch mitten im Studium. Ich bin erst seit einem knappen Jahr KK, nicht mehr Kommissaranwärter .«
Er deutete zur Wilhelmstraße. »Wusstest du, dass dort drüben, im Haus Nummer 58 auch ein Mord begangen wurde?«
Oliver nickte, während er sich über die Arme rieb. Die Kälte, die in ihn hineinkroch, wollte nicht wieder fort. Ihn reizten solche Erzählungen – bisher zumindest. Seit er die Toten sehen konnte, hatte dieses Spiel des angenehmen Gruselns seinen Reiz verloren. »Ich weiß, Timo Rinnelt hieß der Kleine. Das war eines der bekanntesten Verbrechen in Wiesbaden.«
Daniels Lippen zuckten. »War, du sagst es.« Düster fügte er hinzu: »Dein Vater hat diesen Mord in Sachen Bekanntheit übertrumpft.«
Obwohl sie den Park umgingen, folgte ihnen ein eigentümlicher Geruch, eine Mischung aus Alkohol, Urin, Alter und Schweiß, der sich dank des immer wieder aufkommenden Sturms gar nicht hätte halten können.
Oliver war fast froh, nach einer Weile die Buchhandlung Markgraf an der Ecke zu sehen. Fahles Licht brannte hinter den schmutzigen Scheiben. Seinem Großvater war offenbar nicht ausreichend Zeit geblieben, den Laden gründlich zu verschließen.
Daniel zückte einen Schlüssel. An dem Bund hing eine kleine rote Teufelsbadeente. Die gehörte Chris. »Hast du die meinem Bruder geklaut?«
»Zur Zeit braucht er die Schlüssel nicht, und ich wollte nicht unbedingt bei Gregor anrufen und fragen, ob er mir seinen Satz ausleiht.«
»Dreist bist du gar nicht.«
Verschmitzt grinste Daniel. »Mein miserabler Ruf im Kommissariat kommt nicht von ungefähr.«
»Wann hast du ihm den Bund geklaut?«
»Ausgeliehen.« Daniel machte eine beschwichtigende Geste. »Nur ausgeliehen. Er bekommt sie alle wieder zurück.«
Er feixte.
Oliver konnte selbst kaum ernst bleiben. »Du bist der unmöglichste Bulle, den ich mir vorstellen kann.«
»Stimmt. Sagt mir Irene Meinhard auch immer wieder.«
Er ging die Schlüssel durch, während er näher zur Tür trat. Natürlich zückte er zuerst einen wuchtigen Sicherheitsschlüssel.
Oliver schüttelte den Kopf. »Falsch. Der Kleine müsste es sein. Der andere ist mit ziemlicher Sicherheit für den Laden oder für oben.«
»Jeder andere würde es umgekehrt machen.« Langsam führte Daniel den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum.
Oliver schob sich in den Windfang. Schon als er den Fuß über die Schwelle setzte, glaubte er, schwerer atmen zu können.
Schnürte die Angst ihm die Kehle zu? Vor was fürchtete er sich? Geister, spätestens seit ihn die Erscheinung im Bad angegriffen hatte. Ausgerechnet ihre Präsenz hing greifbar in den alten Mauern. Warum spürte er sie jetzt so viel deutlicher als vorgestern?
Schweißperlen standen auf seiner Stirn und sickerten in feinen Rinnsalen durch seine Brauen. Mit einer Hand fuhr er sich über das Gesicht.
In seinem Nacken kribbelte es. Sein Blick glitt zu Daniel, der reglos in die Dunkelheit starrte. In Daniels Mimik lag starke Konzentration.
Etwas Kaltes berührte Olivers Hals. Er schrak zusammen. Nur nicht
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