Der Regenmacher
werden Great Benefit wegen sexueller Belästigung und anderer strafbarer Handlungen verklagen, aber sie weiß auch über eine Menge schmutziger Wäsche in der Schadensabteilung Bescheid. Sie hat schließlich mit dem Vizepräsidenten der Schadensabteilung geschlafen. Es wird eine Menge Prozesse geben, prophezeit er.
Schließlich stelle ich die große Frage. »Wird sie kommen und aussagen?«
Er weiß es nicht. Vielleicht. Aber sie hat Angst. Das sind niederträchtige Leute mit einer Menge Geld. Im Augenblick macht sie eine Therapie, sie ist sehr labil.
Er erklärt sich einverstanden, daß ich mich am Telefon mit ihr unterhalte, und wir verabreden ein Gespräch am späten Abend am Apparat in meiner Wohnung. Ich erkläre ihm, daß es nicht ratsam ist, mich in meinem Büro anzurufen.
Es ist unmöglich, an etwas anderes zu denken als an den Prozeß. Wenn Deck nicht da ist, wandere ich in meinem Büro herum, führe Selbstgespräche, erkläre den Geschworenen, wie wahrhaft niederträchtig Great Benefit ist, nehme ihre Leute ins Kreuzverhör, verhöre behutsam Dot und Ron und Dr. Kord, trage den Geschworenen ein ziemlich hinreißendes Schlußplädoyer vor. Es fällt mir immer noch schwer, die Geschworenen um eine Geldstrafe von zehn Millionen Dollar zu bitten und dabei keine Miene zu verziehen. Wenn ich fünfzig Jahre alt wäre, Hunderte von Fällen verhandelt hätte und wüßte, was zum Teufel ich tue, dann hätte ich vielleicht das Recht, eine Jury um zehn Millionen zu bitten. Aber bei einem Anfänger, der erst vor neun Monaten sein Studium beendet hat, muß es absurd klingen.
Aber ich bitte sie trotzdem. Ich tue es in meiner Kanzlei, in meinem Wagen und vor allem in meiner Wohnung, oft um zwei Uhr nachts, wenn ich nicht schlafen kann. Ich rede mit diesen zwölf Gesichtern, denen ich jetzt Namen geben kann, diesen wunderbar fairen Leuten, die mir zuhören und nicken und es nicht abwarten können, in den Gerichtssaal zurückzukehren und Recht zu sprechen.
Ich bin im Begriff, auf Gold zu stoßen, Great Benefit in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung zu vernichten, und ich bemühe mich ununterbrochen, diese Gedanken unter Kontrolle zu halten. Das ist verdammt schwer. Die Fakten, die Jury, der Richter, die besorgten Anwälte auf der anderen Seite. Das macht zusammen eine Menge Geld.
Irgend etwas muß einfach schiefgehen.
Ich unterhalte mich eine Stunde lang mit Jackie Lemancyzk. Manchmal hört sie sich kräftig und eindringlich an, dann wieder kann sie kaum klar denken. Sie hat mit keinem dieser Männer schlafen wollen, sagt sie immer wieder, aber es war die einzige Möglichkeit, voranzukommen. Sie ist geschieden und hat zwei Kinder.
Sie erklärt sich bereit, nach Memphis zu kommen. Ich biete ihr an, ihr den Flug und die anderen Unkosten zu bezahlen, und es gelingt mir, dieses Angebot so klingen zu lassen, als verfügte unsere Kanzlei über unbegrenzte Mittel. Sie verlangt von mir das Versprechen, daß es, falls sie aussagt, für Great Benefit eine absolute Überraschung sein muß.
Sie hat eine Heidenangst vor diesen Leuten. Ich denke, es wäre eine großartige Überraschung.
Das Wochenende vorbringen wir im Büro, mit nur ein paar Stunden Schlaf in unseren jeweiligen Wohnungen, dann kehren wir wie verlorene Schafe ins Büro zurück und arbeiten weiter.
Meine seltenen Momente der Entspannung verdanke ich Tyrone Kipler. Ich habe ihm insgeheim tausendmal dafür gedankt, daß wir die Geschworenen eine Woche vor dem Prozeß auswählen durften und daß er mir gestattet hat, außerhalb des Protokolls ein paar Worte an sie zu richten. Vorher war die Jury ein großer Teil des Unbekannten, ein Element, vor dem ich ungeheure Angst hatte. Jetzt kenne ich ihre Namen und ihre Gesichter, und ich habe mich mit den Leuten ohne Zuhilfenahme schriftlicher Notizen unterhalten. Sie mögen mich. Und sie verabscheuen meine Gegner.
Trotz all meiner Unerfahrenheit bin ich fest davon überzeugt, daß Richter Kipler mich vor mir selbst retten wird.
Am Sonntag gegen Mitternacht sagen Deck und ich uns gute Nacht. Als ich das Büro verlasse, schneit es leicht. Leichter Schneefall bedeutet in Memphis in der Regel, daß die Schule eine Woche lang ausfällt und alle Regierungsbehörden geschlossen sind. Die Stadt hat nie einen Schneepflug angeschafft.
Ein Teil von mir wünscht sich einen Schneesturm, damit der morgige Tag verschoben wird. Ein anderer Teil will es endlich hinter sich bringen.
Bis ich bei meiner Wohnung angekommen bin, hat es
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