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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Mimile grinste Theo wie immer. Louis Cardis hatte seinen Platz am Belote-Tisch wieder eingenommen. Sein rechtes Bein war in Gips, und neben ihm standen Krücken.
    Doudou folgte Lecoin wie immer wie ein treuer Hund, bereit, jeden zu beißen, der seinen Herrn angriff.
    Lecoin war überzeugt, der Taubstumme wußte Bescheid. Er war vielleicht nicht intelligent, hatte nie etwas gelernt, aber wie die Tiere hatte er einen Instinkt, der nicht trog.
    Was hielt er von ihm? Seltsam, am meisten Angst hatte er davor, den Taubstummen zu enttäuschen und seine Achtung zu verlieren.
    Am Nachmittag entschloß er sich plötzlich zu einer neuen Sauftour. Er hatte es satt, im Haus oder um das Haus herumzustreichen in der Hoffnung, Alice zu erspähen und ihrem Blick zu begegnen.
    Er war schlechter Stimmung. Als er die Tür öffnete, sah er, daß Nenette unwillig dreinsah, aber das war ihm gleich. Sie mochte von ihm denken, was sie wollte.
    Er setzte sich auf einen Hocker.
    »Ist niemand da?« fragte er erstaunt.
    »Das Zimmer oben ist besetzt.«
    »Für lange?«
    »Ich glaube nicht. Möchtest wohl einen Cognac?«
    Draußen regnete es, und die Atmosphäre in der Bar war trist.
    »Weißt du, daß es mir weh tut, dich so zu sehen?«
    »Mich wie zu sehen?«
    »Du weißt das besser als ich. Du vergißt, daß ich deine alte Freundin bin. Wie lange kennen wir uns schon?«
    »An die fünfzehn Jahre.«
    »Damals hatte ich meine Bar noch nicht und war noch eine linkische Anfängerin, die sich auf dem Strich versuchte. Ich wirkte so anständig und jung, daß kein Mann mich anzusprechen wagte.«
    »Das war in der Rue du Minage.«
    »Ja. An einem Winterabend. Ich hatte beschlossen, es noch eine Viertelstunde zu versuchen und dann schlafen zu gehen, so sehr fror mich. Da kamst du und hast mich überrascht angeblickt, hast dich umgedreht, hast kehrt gemacht und mich überholt, um mich von neuem zu mustern.«
    Er erinnerte sich noch daran. Sie war damals noch nicht zwanzig und wirkte noch viel jünger. Sie verzog ihren Mund, als ob sie weinen wolle.
    »Ich war ganz überrascht, als du mich schließlich angesprochen und gefragt hast, wohin ich ginge. Ich habe dir geantwortet: ›Nach Hause.‹
    Und ohne Umschweife hast du gemurmelt: ›Erlauben Sie, daß ich Sie begleite?‹
    Du warst ein schöner Mann, du bist es noch. Du bist noch oft zu mir gekommen. Ich hatte ein kleines möbliertes Zimmer, und die Sprungfedern des Bettes quietschten. Erinnerst du dich noch an das Geräusch?«
    Er hörte nur mit halbem Ohr zu und dachte, dasselbe hätte auch mit Alice passieren können.
    »Wir haben uns dann lange nicht wiedergesehen, und später hat ein Reeder, der sich in mich verguckt hatte, mir diese Bar geschenkt. Du siehst, ich kann ohne Übertreibung sagen, daß ich deine alte Freundin bin. Ich habe Männer aller Sorten kennengelernt, weißt du.
    Und ich sehe sofort, wenn ein Mann Kummer hat.«
    »Noch einen Cognac.«
    »Wenn’s sein muß. Ich merke, du kommst immer öfter, um dich zu betrinken. Alles wegen der Mädchen. Das paßt nicht zu dir. Es stimmt etwas nicht bei dir. Aber es können nicht deine Geschäfte sein, die dir Sorgen machen. Nach allem, was man hört, bist du steinreich.«
    Er hätte ihr gern Schweigen geboten, aber er hatte nicht den Mut dazu.
    »Ist es deine Frau?«
    »Nein. Sie ist immer die gleiche. Ich habe ihr nichts vorzuwerfen.«
    Er hatte ihr einst erzählt, seine Frau sei frigide, und es sei eine Marter für sie, mit ihm zu schlafen. Das stimmte, und darum war sie sicherlich nie eifersüchtig gewesen.
    »Und dein Bruder?«
    »Ich habe keinen Grund, mir um ihn Sorgen zu machen.«
    »Du willst doch wohl nicht sagen, du seist verliebt?«
    Das Wort traf ihn sehr, und er wäre fast aufgebraust.
    »Das kommt in jedem Alter vor, weißt du. Ich habe mich vor drei Jahren auch unsterblich verliebt. Das hat drei Monate gedauert und hat mich viel gekostet. Trotzdem bin ich hier und leide nicht mehr darunter.«
    Man hörte, wie eine Tür sich schloß, und dann ertönten Schritte auf der Treppe.
    Ein Mann, der seinen Mantelkragen hochgeschlagen hatte, ging mit gesenktem Kopf schnell durch die Bar, als schäme er sich.
    »Hinterher sind die meisten so.«
    Ein Mädchen, das er schon in der Woche zuvor gehabt hatte, die mollige Blondine, schwang sich auf einen Hocker ganz am Ende der Bar.
    Nenette verlor den Gesprächsfaden nicht.
    »Will sie dich nicht?«
    »Das ist es nicht.«
    »Ist es jemand, an die du nicht herankommst?«
    Er antwortete nicht

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