Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
sagte ja schon, daß es schlimm war.
     
    So geht die Geschichte.
    Er öffnet die Tür. Er ist in Hemdsärmeln, das Hemd ist ihm aus der Hose gerutscht, hängt lose; er hat eine Zahnbürste oder eine Zigarette oder ein Glas mit einem Drink in der Hand. Er hat sein eigenes kleines Warenlager dort oben, Sachen vom Schwarzen Markt, nehme ich an. Er hat jedesmal irgend etwas in der Hand, als habe er ganz normal sein Leben weitergelebt und mich nicht erwartet, nicht auf mich gewartet. Vielleicht erwartet er mich wirklich nicht, wartet er wirklich nicht auf mich. Vielleicht hat er keine Vorstellung von der Zukunft oder macht sich nicht die Mühe oder wagt nicht, sie sich vorzustellen.
    »Ist es zu spät?« frage ich.
    Er schüttelt den Kopf, nein. Längst ist zwischen uns vereinbart, daß es nie zu spät ist, aber ich beachte das Höflichkeitsritual des Fragens. Es vermittelt mir das Gefühl, die Sache mehr in der Hand zu haben, als gäbe es eine Wahl, eine Entscheidung, die so oder so ausfallen könnte. Er tritt zur Seite, und ich gehe an ihm vorbei, und er schließt die Tür. Dann geht er durchs Zimmer und schließt das Fenster. Danach macht er das Licht aus. Es fallen nicht viele Worte zwischen uns, nicht in diesem Stadium. Schon bin ich halb aus den Kleidern. Wir sparen uns das Reden für später auf.
    Beim Kommandanten schließe ich immer die Augen, sogar wenn ich ihm nur den Gutenachtkuß gebe. Ich will ihn nicht von nahem sehen. Aber jetzt, hier, behalte ich jedesmal die Augen offen. Ich hätte gern, daß irgendwo ein Licht brennt, vielleicht eine in eine Flasche gesteckte Kerze, eine Erinnerung ans College, aber alles in der Art wäre eine zu große Gefahr; also muß ich mich mit dem Flutlicht begnügen, mit dem Widerschein, der durch die weißen Gardinen gefiltert wird – die gleichen Gardinen wie meine. Ich möchte von ihm sehen, was zu sehen ist, ihn in mich aufsaugen, ihn memorieren, ihn aufsparen, damit ich von dem Bild, das ich habe, leben kann, später: die Linien seines Körpers, die Beschaffenheit seines Fleisches, der Glanz von Schweiß auf seiner Haut, sein schmales, bitteres, nichts offenbarendes Gesicht. Das hätte ich bei Luke tun sollen, mehr auf die Details achten, die Leberflecke und die Narben, die ganz besonderen Falten. Ich habe es nicht getan, und er verblaßt. Tag um Tag, Nacht um Nacht weicht er mehr zurück, und ich werde treuloser.
    Für den hier würde ich rosa Federn und purpurrote Sterne tragen, wenn er es wollte, oder irgend etwas anderes, sogar einen Kaninchenschwanz. Doch er fragt nicht nach solchem Flitterkram. Jedesmal lieben wir uns so, als wüßten wir ohne den Schatten eines Zweifels, daß wir es niemals wieder tun werden, keiner von uns, mit niemandem, nie. Und wenn es dann doch geschieht, ist auch das immer eine Überraschung, etwas Besonderes, ein Geschenk.
    Hier bei ihm zu sein, ist Sicherheit; es ist eine Höhle, wo wir uns zusammenkuscheln, während draußen der Sturm wütet. Das ist natürlich eine Selbsttäuschung. Dieses Zimmer ist einer der gefährlichsten Orte, an denen ich mich aufhalten kann. Würde ich geschnappt werden, gäbe es kein Pardon, aber ich bin darüber hinaus, mir etwas daraus zu machen. Und wie komme ich dazu, ihm dermaßen zu vertrauen, was an sich schon tollkühn ist? Wie kann ich annehmen, daß ich ihn kenne oder auch nur das Geringste über ihn und das, was er wirklich tut, weiß?
    Ich verbanne diese unbehaglichen Einflüsterungen. Ich rede zu viel. Ich erzähle ihm Dinge, die ich ihm nicht erzählen sollte. Ich erzähle ihm von Moira, von Desglen, jedoch nicht von Luke. Ich würde ihm gern von der Frau in meinem Zimmer erzählen, der, die vor mir dort war, aber ich tue es nicht. Ich bin eifersüchtig auf sie. Wenn auch sie vor mir hier gewesen ist, in diesem Bett, dann will ich nichts davon hören.
    Ich sage ihm meinen richtigen Namen und habe das Gefühl, daß ich deshalb jetzt bekannt bin. Ich verhalte mich wie ein Idiot. Ich sollte es besser wissen. Ich mache ein Idol aus ihm, eine Ausschneidepuppe aus Pappe.
    Er für sein Teil spricht wenig: keine Andeutungen und keine Witze mehr. Er stellt kaum Fragen. Er scheint das meiste, was ich zu sagen habe, gleichgültig anzuhören, aufgeschlossen nur für die Möglichkeiten meines Körpers, obwohl er mich genau beobachtet, wenn ich spreche. Er beobachtet mein Gesicht.
    Unmöglich, sich vorzustellen, daß jemand, demgegenüber ich solche Dankbarkeit empfinde, mich verraten könnte.
    Keiner von uns

Weitere Kostenlose Bücher