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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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spricht das Wort Liebe aus, nicht ein einziges Mal. Es hieße, das Schicksal zu versuchen; es würde eine Liebesgeschichte bedeuten, Unglück, Pech.
     
    Heute blühen andere Blumen, trockener, fester umrissen, die Blumen des Hochsommers: Gänseblümchen, Schwarzäugige Susannen. Sie versetzen uns an die obere Kante des langen Abhangs zum Herbst hinunter. Ich sehe sie in den Gärten, wenn ich mit Desglen gehe, hin und zurück. Ich höre ihr kaum zu, ich glaube ihr nicht mehr. Was sie flüstert, kommt mir unwirklich vor. Was könnten sie mir nützen, jetzt?
    Du könntest dich nachts in sein Zimmer schleichen, sagt sie. Seinen Schreibtisch durchsuchen. Dort müssen Papiere sein, Aufzeichnungen.
    Die Tür ist verschlossen, murmele ich.
    Wir könnten dir einen Schlüssel besorgen, sagt sie. Möchtest du nicht wissen, wer er ist, was er tut?
    Aber der Kommandant ist nicht mehr von unmittelbarem Interesse für mich. Ich muß mich anstrengen, um mir meine Gleichgültigkeit ihm gegenüber nicht anmerken zu lassen.
    Mach alles auch weiterhin genau so, wie du es vorher getan hast, sagt Nick. Keine Veränderung. Sonst werden sie es erfahren. Er küßt mich und sieht mich dabei fortwährend an. Versprichst du es mir? Mach keinen Fehler.
    Ich lege seine Hand auf meinen Bauch. Es ist passiert, sage ich. Ich fühle es. Ein paar Wochen noch, dann habe ich Gewißheit.
    Ich weiß, daß das Wunschdenken ist.
    Er wird dich halb umbringen vor Freude, sagt er. Und sie auch.
    Aber es ist deins, sage ich. In Wirklichkeit wird es deins sein. Ich möchte es so.
    Doch wir verfolgen das nicht weiter.
    Ich kann nicht, sage ich zu Desglen. Ich habe zu viel Angst. Außerdem bin ich nicht gut in solchen Sachen, ich würde erwischt werden.
    Ich mache mir kaum die Mühe, Bedauern durchklingen zu lassen, so träge bin ich geworden.
    Wir könnten dich rausholen, sagt sie. Wir können Leute rausholen, wenn es wirklich sein muß, wenn sie in Gefahr sind. In unmittelbarer Gefahr.
    Aber ich will gar nicht mehr fort, will gar nicht mehr entkommen und die Grenze zur Freiheit überschreiten. Ich möchte hier sein, bei Nick, wo ich zu ihm kann.
    Jetzt, während ich das erzähle, schäme ich mich. Aber da schwingt noch etwas anderes mit. Schon jetzt durchschaue ich dieses Geständnis als eine Form von Prahlerei. Stolz ist im Spiel, weil es demonstriert, wie extrem und deshalb gerechtfertigt es für mich war. Wie lohnend. Es ist wie mit Geschichten von Krankheiten und Todesnähe, wenn man sich wieder davon erholt hat, wie Kriegsgeschichten. Sie demonstrieren Ernsthaftigkeit.
    Solch eine Ernsthaftigkeit im Umgang mit einem Mann war mir vorher nie möglich erschienen.
    An manchen Tagen war ich vernünftiger. Dann kleidete ich es mir selbst gegenüber nicht in den Begriff Liebe. Ich sagte mir, ich habe mir hier so etwas wie ein Leben eingerichtet. So mußten die Frauen der Siedler gedacht haben, und die Frauen, die Kriege überlebten, wenn sie noch einen Mann hatten. Die Menschheit ist so anpassungsfähig, sagte meine Mutter immer. Wahrhaft erstaunlich, woran Menschen sich gewöhnen können, solange es ein paar Entschädigungen gibt.
    Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, sagt Cora, als sie mir meinen monatlichen Stapel Binden austeilt. Nicht mehr lange, und sie lächelt mich an, schüchtern, aber wissend. Weiß sie etwas? Wissen sie und Rita, was ich vorhabe, wenn ich nachts ihre Treppe hinunterschleiche? Verrate ich mich, wenn ich tagträume, vor mich hinlächle, mein Gesicht leicht berühre, wenn ich glaube, daß sie nicht herschauen?
    Desglen gibt mich allmählich auf. Sie flüstert weniger, spricht mehr vom Wetter. Ich empfinde kein Bedauern deswegen. Ich spüre Erleichterung.
     

Kapitel zweiundvierzig
    Die Glocke läutet; wir hören sie schon von weither. Es ist Vormittag, und heute haben wir kein Frühstück bekommen. Wir erreichen das Haupttor und marschieren immer zu zweit hindurch. Ein massives Kontingent von Wächtern ist aufgeboten worden, Engel von einer Sondereinheit, mit Schutzausrüstung – den Helmen mit den gewölbten dunklen Plexiglasvisieren, die ihnen das Aussehen von Käfern geben, den langen Schlagstöcken, den Gaspistolen – in einem Kordon rund um die Mauer. Für den Fall, daß Hysterie ausbricht. Die Haken an der Mauer sind leer.
    Heute ist eine Bezirks-Errettung, nur für Frauen. Errettungen sind immer nach Geschlechtern getrennt. Die heutige wurde gestern angekündigt. Sie sagen es einem immer erst am Tag vorher. Es ist nicht

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