Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
Vom Netzwerk:
Drogen. Um ihre Mundwinkel spielt ein wackeliges verrutschtes Lächeln. Eine Seite ihres Gesichts zieht sich zusammen, ein unkoordiniertes Blinzeln zur Kamera hin. Sie werden es natürlich niemals zeigen, es ist keine Live-Übertragung. Die beiden Erretterinnen binden ihr die Hände hinter dem Rücken zusammen.
    Hinter mir höre ich ein würgendes Geräusch.
    Aus diesem Grund bekommen wir vorher kein Frühstück.
    »Wahrscheinlich Janine«, flüstert Desglen.
    Ich habe es früher schon gesehen, wie der weiße Sack über den Kopf gezogen wird, wie man der Frau auf den hohen Hocker hilft, als hülfe man ihr die Stufen in einen Bus hinauf, wie man sie stützt, ihr vorsichtig die Schlinge um den Hals legt, als wäre sie Teil eines Meßgewands, wie man den Hocker wegtritt. Ich habe den langen Seufzer aufsteigen hören, rings um mich herum, ein Seufzer, wie wenn Luft aus einer Luftmatratze entweicht, ich habe gesehen, wie Tante Lydia die Hand über das Mikrofon legte, um die anderen Geräusche hinter ihr zu ersticken, ich habe mich vorgebeugt, um das Seil vor mir zu berühren, zusammen mit den anderen, beide Hände darauf, das Seil haarig, klebrig vom Teer in der heißen Sonne. Dann habe ich meine Hand aufs Herz gelegt, um meine Einigkeit mit den Erretterinnen und meine Zustimmung zu bekunden, meine Komplizenschaft am Tod dieser Frau. Ich habe die ausschlagenden Beine gesehen und die beiden Frauen in Schwarz, die die Beine jetzt packen und mit all ihrem Gewicht nach unten ziehen. Ich will es nicht mehr sehen. Ich schaue statt dessen aufs Gras. Ich beschreibe das Seil.
     

Kapitel dreiundvierzig
    Die drei Leichen hängen da, sehen trotz der weißen Säcke über den Köpfen merkwürdig gestreckt aus, wie Hähnchen, die im Schaufenster des Fleischerladens an den Hälsen aufgehängt sind, wie Vögel mit gestutzten Flügeln, wie flugunfähige Vögel, abgestürzte Engel. Es ist schwer, die Augen von ihnen abzuwenden. Unter den Kleidersäumen baumeln die Füße, zwei Paar rote Schuhe, ein Paar blaue. Wären nicht die Stricke und die Säcke, könnte es ein besonderer Tanz sein, ein Ballett, eingefangen von einer Blitzlichtkamera: freischwebend. Sie sehen arrangiert aus. Sie sehen nach Showbusineß aus. Es muß Tante Lydias Einfall gewesen sein, die blaue in der Mitte zu plazieren.
    »Die heutige Errettung ist hiermit beendet«, spricht Tante Lydia ins Mikrophon. »Aber …«
    Wir wenden uns ihr zu, hören ihr zu, schauen sie an. Sie wußte schon immer ihre Pausen zu setzen. Eine Welle durchzieht uns, eine unruhige Bewegung. Vielleicht wird noch etwas anderes geschehen.
    »Aber jetzt dürft ihr aufstehen und einen Kreis bilden.« Sie lächelt auf uns herab, großmütig, gönnerhaft. Sie ist im Begriff, uns etwas zu schenken. Schenken. »Ruhig und gesittet!«
    Sie spricht zu uns, den Mägden. Einige der Ehefrauen, einige der Töchter brechen auf. Die meisten bleiben, aber sie bleiben hinten, wo sie nicht im Weg sind, sie schauen nur zu. Sie sind nicht Teil des Kreises.
    Zwei Wächter kommen nach vorn und rollen das dicke Seil auf, um es aus dem Weg zu räumen. Andere tragen die Kissen fort. Wir wirbeln jetzt durcheinander, auf der Grasfläche vor der Bühne, manche drängen sich in Positionen ganz vorn, dicht vor der Bühnenmitte, drängen genauso heftig, um sich in die Mitte vorzuarbeiten, wo sie gedeckt sind. Es ist ein Fehler, sich in einer solchen Gruppe allzu auffällig im Hintergrund zu halten: es stempelt dich als lau, als nicht eifrig genug ab. Energie baut sich hier auf, das Gemurmel schwillt an, ein Beben von Bereitschaft und Zorn. Die Körper angespannt, die Augen heller, als visierten sie ein Ziel an.
    Ich möchte nicht vorn stehen, und hinten auch nicht. Ich weiß nicht, was noch kommen wird, doch ich habe das Gefühl, daß es etwas sein wird, was ich nicht so genau sehen möchte. Aber Desglen hat meinen Arm genommen, sie zieht mich hinter sich her, und jetzt stehen wir in der zweiten Reihe, und haben nur eine dünne Hecke von Körpern vor uns. Ich will nicht zusehen, aber ich ziehe Desglen auch nicht zurück. Ich habe Gerüchte gehört, die ich nur halb glaube. Trotz allem, was ich schon weiß, sage ich mir: So weit würden sie nicht gehen.
    »Ihr kennt die Regeln für die Partizikution«, sagt Tante Lydia. »Ihr wartet, bis ich das Pfeifsignal gebe. Danach ist euch überlassen, was ihr tut, bis ich wieder pfeife. Verstanden?«
    Ein Laut kommt aus unserer Mitte, formlose Zustimmung.
    »Also dann«, sagt Tante Lydia.

Weitere Kostenlose Bücher