Der Report der Magd
zwei Engeln getragen.
Was hat sie? Ich formte die Frage mit den Lippen, der Frau neben mir zugewandt – eine gänzlich ungefährliche Frage, außer wenn ich sie einer Fanatikerin stellte.
Fieber, formte sie mit den Lippen. Blinddarmentzündung heißt es.
Ich war beim Essen an jenem Abend, es gab Hackbällchen und Kartoffelpuffer. Mein Tisch war in der Nähe des Fensters, ich konnte hinausschauen, bis zum Eingangstor. Ich sah, wie der Krankenwagen zurückkam, ohne Sirene diesmal. Einer der Engel sprang heraus, sprach mit der Wache. Der Wächter ging ins Haus, der Krankenwagen blieb stehen, der Engel stand mit dem Rücken zu uns, wie man es ihn gelehrt hatte. Zwei der Tanten kamen mit dem Wächter aus dem Gebäude. Sie gingen um den Krankenwagen herum, zerrten Moira hinten heraus, schleppten sie durchs Tor und die Treppe vorm Haus herauf. Sie hielten sie unter den Achseln, eine auf jeder Seite. Moira konnte nur mit Mühe gehen. Ich hörte auf zu essen, ich konnte nicht mehr essen. Inzwischen starrten alle an meiner Tischseite aus dem Fenster. Das Fenster war grünlich von dem Maschendrahtgeflecht, das man früher in das Glas eingoß. Tante Lydia sagte: Eßt jetzt. Sie ging hinüber und zog das Rollo herunter.
Sie brachten sie in ein Zimmer, das früher das Physiklabor gewesen war. Es war ein Zimmer, in das keine von uns aus freien Stücken ging. Hinterher konnte sie eine Woche lang nicht gehen, ihre Füße paßten nicht in ihre Schuhe, sie waren zu sehr geschwollen. Die Füße nahmen sie sich immer vor bei einem Erstvergehen. Sie benutzten an den Enden ausgefranste Stahlkabel. Danach kamen die Hände an die Reihe. Es kümmerte sie nicht, wie sie die Füße oder Hände zurichteten, auch dann nicht, wenn es ein bleibender Schaden war. Denkt daran, sagte Tante Lydia. Für unsere Zwecke sind eure Füße und Hände nicht wichtig.
Moira lag auf ihrem Bett, ein warnendes Beispiel. Das hätte sie nicht ausprobieren dürfen, nicht bei den Engeln, sagte Alma vom Nachbarbett herüber. Wir mußten sie zum Unterricht tragen. Wir klauten bei den Mahlzeiten in der Cafeteria zusätzliche Zuckerpäckchen für sie und steckten sie ihr zu, heimlich, bei Nacht, von Bett zu Bett. Wahrscheinlich brauchte sie den Zucker gar nicht, aber er war das einzige, was wir für sie stehlen konnten. Ihr schenken konnten.
Ich bete immer noch, aber vor mir sehe ich jetzt Moiras Füße, wie sie aussahen, als man sie zurückbrachte. Ihre Füße sahen überhaupt nicht wie Füße aus. Sie sahen aus wie ertrunkene Füße, geschwollen und knochenlos, nur die Farbe war anders. Sie sahen aus wie Lungen.
O Gott, bete ich. Hirundo maleficis evoltat.
Hattest du dir das so vorgestellt?
Der Kommandant räuspert sich. Das tut er, um uns wissen zu lassen, daß es seiner Meinung nach an der Zeit ist, mit dem Beten aufzuhören. »Denn die Augen des Herrn sollen hingehen über die ganze Erde, auf daß er sich mächtig wisse im Namen jener, deren Herz wahrhaftig ist in seinem Angesicht«, sagt er.
Das ist der Zeichen zum Sendeschluß. Er steht auf. Wir sind entlassen.
Kapitel sechzehn
Die Zeremonie verläuft wie üblich.
Ich liege auf dem Rücken, voll bekleidet, mit Ausnahme der gesunden weißen Baumwollunterhose. Was ich sehen würde, wenn ich die Augen aufschlüge, wäre der große weiße Baldachin von Serena Joys übergroßem Himmelbett im Kolonialstil, der wie eine absackende Wolke über uns hängt, eine Wolke, mit winzigen Tropfen silbrigen Regens besetzt, die sich, wenn man näher hinsähe, als vierblättrige Blümchen entpuppten. Ich würde nicht den Teppich sehen, der weiß ist, nicht die geblümten Gardinen oder den mit Rüschen verkleideten Frisiertisch, auf dem, in Silber gefaßt, die Bürste und der Spiegel liegen. Nur den Baldachin, der dank der Luftigkeit des Tuches und der nach unten gewölbten Erdenschwere das Kunststück fertigbringt, ätherisch und zugleich stofflich zu wirken.
Oder wie das Segel eines Schiffes. Von großbäuchigen Segeln war einst in Gedichten die Rede. Schwellend, ausbauchend. Vorwärts getrieben durch einen geschwollenen Bauch.
Der Duft von Maiglöckchen umgibt uns, kühl, fast herb. Es ist nicht warm in diesem Zimmer.
Über mir, am Kopfende des Bettes liegt Serena Joy ausgebreitet da. Ihre Beine sind gespreizt, ich liege zwischen ihnen, mit dem Kopf auf ihrem Magen, ihr Schambein liegt unter meinem Nacken, ihre Schenkel zu beiden Seiten von mir. Auch sie ist vollständig bekleidet.
Meine Arme sind
Weitere Kostenlose Bücher