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Der Richter

Der Richter

Titel: Der Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Baumwollhose und passendem Hemd trat an den Tisch und sagte mit einem herzlichen Lächeln: »Verzeihen Sie, Ray, ich bin Loyd Darling.« Er streckte ihm die Hand entgegen. »Ich habe eine Farm östlich der Stadt.«
    Ray schüttelte die Hand und stand dabei halb auf. Mr. Loyd Darling be-saß mehr Land als jeder andere in Ford County. Früher hatte er Ray in der Sonntagsschule unterrichtet. »Freut mich, Sie zu sehen«, sagte Ray.
    »Behalten Sie doch Platz.« Loyd drückte Ray an der Schulter sanft auf seinen Sitz zurück. »Ich wollte Ihnen nur mein Beileid aussprechen.«
    »Vielen Dank, Mr. Darling.«
    »Es gab keinen besseren Mann als Reuben Atlee. Sie haben mein tiefstes Mitgefühl.«
    Ray nickte nur. Harry Rex hatte im Essen innegehalten und sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Dann war Loyd weg, und das Frühs-tück wurde fortgesetzt.
    Harry Rex holte zu einer Geschichte über Steuerbetrug aus. Nach einem oder zwei weiteren Bissen war Ray endgültig satt, und während er so tat, als hörte er zu, dachte er über die vielen braven Leute wie Loyd Darling nach, die seinen Vater bewundert, ja regelrecht verehrt hatten.
    Was, wenn das Geld nicht aus den Kasinos stammte? Wenn ein Verbrechen begangen worden war, wenn der Richter heimlich irgendein schreckliches Ding gedreht hatte? Mitten im überfüllten »Coffee Shop« sitzend, den Blick auf Harry Rex gerichtet, dem er nicht zuhörte, traf Ray Atlee für sich eine Entscheidung. Er schwor sich, dass niemals jemand davon erfahren würde, wenn er je herausfinden sollte, dass sein Vater das Geld, das nun im Kofferraum seines Wagens lag, irgendwie auf unlautere Weise zu-sammengerafft hatte. Er würde den geradezu überirdischen Ruf von Richter Reuben Atlee nicht schänden.
    Er schloss einen Pakt mit sich selbst - samt Handschlag, Bluteid und Schwur auf Gott. Niemand würde je davon erfahren.
    Auf dem Gehsteig vor einer der vielen Anwaltskanzleien verabschiede-ten sie sich. Harry Rex schloss ihn wieder fest in die Arme wie ein riesiger Bär, und Ray versuchte, die Umarmung zu erwidern, konnte sich aber in der Umklammerung keinen Millimeter rühren.
    Ach kann einfach nicht glauben, dass er nicht mehr da ist«, sagte Harry Rex mit feuchten Augen.
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Gegen die Tränen ankämpfend, ging Harry Rex kopfschüttelnd davon.
    Ray sprang in seinen Audi und verließ den Clanton Square, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Minuten später war er am Stadtrand und fuhr an dem alten Autokino vorbei, das die Sexfilme in die Stadt gebracht hatte, und an der Schuhfabrik, wo der Richter einmal bei einem Streik geschlich-tet hatte. Irgendwann hatte er alles hinter sich gelassen, war auf dem freien Land, weitab vom Verkehr, weit weg von der Legende. Als er auf den Tacho blickte, stellte er fest, dass er fast hundertfünfzig Stundenkilometer fuhr.

    Polizisten und Auffahrunfälle sollte er möglichst vermeiden. Die Fahrt war lang und die Ankunftszeit in Charlottesville von entscheidender Bedeutung.
    Kam er zu früh, wäre noch zu viel los in der Fußgängerzone in der Innenstadt, kam er zu spät, würde ihn vielleicht eine Nachtstreife anhalten und ausfragen.
    Hinter Tennessee hielt Ray, um zu tanken und auf die Toilette zu gehen.
    Er hatte viel zu viel Kaffee getrunken. Und viel zu viel gegessen. Er versuchte, Forrest über das Handy zu erreichen, bekam aber keine Antwort.
    Das konnte Gutes oder Schlechtes bedeuten, bei Forrest wusste man das nie so genau.
    Beim Weiterfahren hielt er sich an die Höchstgeschwindigkeit von neunzig Stundenkilometern. Die Stunden verstrichen. Ford County driftete wieder in ein anderes, vergangenes Leben hinüber. jeder Mensch musste irgendwoher stammen, und Clanton war als Heimatort gar nicht so übel. Ray wäre aber auch nicht traurig gewesen, wenn er es nie wieder hätte sehen dürfen.
    In einer Woche wären die Semesterexamen vorbei, in der Woche darauf die Abschlussprüfungen, dann begannen die Sommerferien. Da er forschen und schreiben sollte, hatte er die nächsten drei Monate keine Lehrveranstal-tungen. Was im Klartext hieß, dass er nicht viel zu tun haben würde.
    Er würde nach Clanton zurückkehren, seine Aufgabe als Nachlassverwalter seines Vaters übernehmen und alle Entscheidungen treffen, um die Harry ihn gebeten hatte. Und er würde das Geheimnis um das Geld lüften.

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    0bwohl Ray reichlich Zeit für die Planung gehabt hatte, ging natürlich alles schief. Immerhin kam er noch zu einer passablen Uhrzeit an, um

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