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Der Rikschamann

Der Rikschamann

Titel: Der Rikschamann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Schroeter
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ihm einen Moment lang entgeistert nach, dann drückte sie auf eine kleine Fernbedienung an ihrem Schlüsselbund. Die Tore schwangen auf, fast lautlos, helles Sonnenlicht flutete die Garage. Elena öffnete den Kofferraum erneut und strich prüfend mit einer Hand über den Innenbezug.
    »Dunkler. Eindeutig.«
    Sie schlug den Deckel wieder zu, schwang sich in den Wagen und stutzte – neben ihr lag auf dem Beifahrersitz die ausgebreitete Titelseite einer Zeitung. Ihr Blick blieb auf der Schlagzeile hängen: »Enthauptet – wer ist die Tote aus dem Nikolaifleet?« und rutschte ab auf das Foto eines seltsam leblosen Mädchengesichts mit geschlossenen Augen.
    Nastja, ohgott.
    Im selben Moment meldete sich ihr Handy, und sie nestelte es aus der Handtasche, ohne den Blick von dem grauenvollen Foto zu lösen.
    »Ja«, meldete sie sich, fast flüsternd.
    »Elena!« Mascha. Sie schrie Elenas Namen in abgrundloser Verzweiflung, dann war da nur noch atemloses Schluchzen.
    Elena warf das Handy neben sich, ließ den Motor an und rauschte aus der Garage wie von Furien gehetzt.
    Mit sparsam gezirkelter Kopfbewegung bändigte die junge Frau ihre perfekte Ponyfrisur, entblößte zwei perlweiße Zahnreihen zum Colgategruß und versprühte Sagrotan-Sex á la Doris Day.
    »Hallo, Rikschamann – darf ich wohl schnell ein Foto machen?«
    »Von mir oder von der Rikscha?« gab Max zurück, ohne sich von seinem Gefährt zu lösen, an dessen Gestänge er lässig lehnte. Die Frau kicherte hysterisch. Max fand seine Pointe damit stark überbewertet.
    »Bleiben Sie einfach so, ja?« Damit begann sie die Rikscha langsam zu umkreisen, die Digitalkamera im Anschlag. Ihrem Begleiter, einem farblosen Hänfling um die Dreißig in Nappalederjacke und beiger Leinenhose, schien das etwas peinlich zu sein. Er starrte in angestrengter Aufmerksamkeit hinüber zur Glaskuppel des Hauptbahnhofs, als sei das die Krönung der Architektur.
    Seit dem gescheiterten Versuch, Oleg auf dem Diensthandy zu erreichen, hatte Max zwei schweigsame Japaner vom Dammtorbahnhof zur Messe kutschiert, einen permanent kalauernden Berliner vom Johannes-Brahms-Platz zum Hotel Atlantic gefahren (»In Balien lass ick mir ooch imma treten, aba da macht det meine Alte, haha!«) und sich dann auf den Weg zum Hauptbahnhof gemacht – in der Hoffnung, hier neben der nächsten Tour vielleicht auch von anderen Rikschafahrern ein paar Informationen über Oleg zu ergattern. Zwei Kollegen standen tatsächlich auf dem Hachmannplatz zwischen Kirchenallee und Bahnhof, der eine ein Selbständiger wie Max, der andere ein früherer Kollege von City-Cycle. Beide kannten Oleg zwar, hatten ihn jedoch schon seit Tagen nicht gesehen. In beide Rikschas stiegen in diesem Moment Passagiere, die Fahrer winkten Max kurz zu und radelten davon.
    »Danke!« Die Fotografin hatte endlich ihr Bild im Kasten, blieb aber noch stehen. »Die sieht wirklich witzig aus, die Rikscha!«
    »Und fahren kann man sogar auch damit«, klopfte Max auf den Busch. Prompt ließ sie wieder ihr hysterisches Kichern ertönen und wandte sich animiert ihrem Begleiter zu, der immer noch krampfhaft versuchte, der Bahnhofsfassade Inspiration abzuringen.
    »Oh ja, Basti, lass uns fahren!« Sie hängte sich um seinen Hals, was sich von Basti schlechthin nicht mehr ignorieren ließ.
    »Was? Womit? Damit?« Er grinste gequält. »Ich weiß nicht…«
    Schon verloren. Sie zog ihn hinter sich her zum Gelben Ungetüm. »So witzig! Und voll verrückt! Das ist mal wieder typisch für uns! Das sind echt WIR!«
    WIR krabbelte geschlagen auf die Rückbank. Jedenfalls die männliche Hälfte. Die Weibliche plapperte unverdrossen auf Max ein, plötzlich ganz geschäftsmäßig. »Zum Jungfernstieg, bitte! Acht Euro, okay?«
    Max nickte nur, sie schwang sich schon halb auf die Rikscha und schwallte schwärmend weiter in seine Richtung. »WIR machen immer solche Sachen! Neulich ist Basti nach der Arbeit mit mir direkt zu einem Konzert von SILBERMOND gefahren, ohne vorher was zu verraten, irre, was?«
    »Whow. Sex, Drugs, Rock’n’ Roll«, murmelte Max, gab aber dabei schon dem Gelben Ungetüm die Sporen, so dass das weibliche WIR laut juchzend zurück in die Sitzbank fiel. WIR verstummten. Im Rückspiegel beobachtete Max, wie Doris Day ihren Basti mit geschürzten Lippen auf einen Sagrotankuss an sich heran ließ. Verdient ist verdient. Und Hauptsache, Ruhe.
    Sie passierten die Kunsthalle und fuhren den Ballindamm hinunter, vorbei am Postkartenpanorama der

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