Der Rikschamann
Denk nach. Denk nach! Noch ist alles da – der Mann, das Haus, das Geld. Lass dir das nicht nehmen! Nastja ist tot. Tut mir Leid, Mascha, ist aber nicht mehr zu ändern. Denk nach! »Du warst mit dem Mädchen zusammen. Dann hat man sie tot aufgefunden. Da werden die Medien zwar wild spekulieren, aber das heißt doch noch nichts! Damit kann man dich doch nicht erpressen.«
»Damit nicht«, räumte er kläglich ein. »Aber es gibt ein Foto. Die Tote – und ich daneben, die Hand am Messergriff, und das Messer steckt in ihr…« seine Stimme brach ab, die Erinnerung an das Foto raubte ihm für einen Moment den Atem, bis er sich bezwang und fortfuhr, um Fassung ringend. »Du wolltest doch wissen, warum ich in den Papierkorb gekotzt habe. Man hat mir einen Finger geschickt – von ihr…«
»Wer steckt hinter der Erpressung?« überlegte Elena fieberhaft.
Sie wirkt hellwach, wunderte sich Pieter, voll konzentriert. Was ist sie nur für ein Mensch? Plötzlich überwältigte ihn tiefschwarzes Selbstmitleid. »Das ist doch alles scheißegal!« jammerte er. »Ich bin vielleicht ein Mörder!« Er streckte ihr in dramatischer Selbstanklage seine Rechte entgegen. »Diese Hand hat dich gestreichelt. Diese Hand hat deinen Sohn gefüttert. Jetzt hat sie getötet! Macht dir das denn gar nichts aus?«
»Halt’s Maul, Piet.«
Sie denkt nach, staunte Pieter, sie läuft nicht schreiend weg oder ruft die Polizei oder heult nur noch rum. Er fasste plötzlich neue Zuversicht. An Elena konnte man sich aufrichten. So hatte er ihre Ehe noch nie gesehen.
»Selbst, wenn du sie getötet hast«, überlegte Elena knallhart, »wissen das im Moment nur wir beide und die Erpresser. Wenn das so bleibt, passiert doch gar nichts! Und damit das so bleibt, sollten wir herausfinden, wer dich… wer uns erpresst. Hast du da gar keinen Verdacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Erst dachte ich, es ist der Rikschamann! Der erste, der mit dem Brikett auf der Rübe. Aber der ist wohl nur irgendwie zufällig in den Schlamassel geraten, denn später hat der Typ angerufen, der das Foto und den Finger geschickt hat…«
»Ist dir an dem etwas aufgefallen? Vielleicht seine Stimme?«
»Die ist verzerrt«, winkte Pieter ab, »wie Donald Duck mit zuviel Umdrehungen.«
»So, wie du es mal mit mir gemacht hast? Als ich den ›Titanic‹-Song gesungen habe?«
Pieter schaute verblüfft auf. Ihre Blicke begegneten sich, und er wusste intuitiv, dass Elena plötzlich die gleiche Idee kam wie ihm. Sie lächelte breit.
»Er ruft noch mal an?«
Pieter lächelte zurück und nickte.
Der Gestank war allgegenwärtig. Oleg hockte auf dem kalten Boden, versuchte, möglichst flach zu atmen und tunlichst nicht an den Eimer zu denken. Konzentriere dich auf etwas anderes, Mann! Auch wenn da nichts anderes ist als diese höllische Finsternis… Obwohl, mittlerweile war wieder dieses entfernte Vibrieren zu vernehmen, das er schon gehört hatte, als er in diesem Gefängnis zu sich gekommen war – wann immer das gewesen sein mochte. Zwischenzeitlich war kein Laut zu hören gewesen, aber jetzt gab es dieses Hintergrundgeräusch wieder. Er konnte es allerdings immer noch nicht einordnen. Half sowieso alles nichts.
Die Tür knallte auf, von einer Sekunde auf die nächste blendete das grelle Scheinwerferlicht den Gefangenen. Die verzerrte Donald-Stimme klang gedämpft, als würde sich der Mann die Nase zuhalten: »Stinkt schlimmer als ein Schweinestall! Hol den Eimer raus!«
Eine mächtige Gestalt, im Gegenlicht nur als Umriss zu sehen, schob sich kurz ins Verlies und nahm den Blecheimer fort. Sie waren also zu zweit, kombinierte Oleg. Mindestens zu zweit. Der Eimerträger trug eine Ku-Klux-Klan-mäßige Kapuzenmaske, soviel glaubte Oleg zu erkennen – dann war da wieder nur noch die grelle, weiße Wand aus Licht.
»Du kriegst jetzt eine letzte Chance, Junge«, meldete sich Donald wieder. »Drei Fragen: Wo ist das Foto? Wer ist Max? Wo wohnt er? Jetzt du. Drei Antworten.«
Also läuft Max immer noch frei herum, dachte Oleg. Irgendwie schien Max seinen Peinigern ganz schön auf die Nüsse zu gehen. Als Nervensäge war Max eben Weltklasse. Und seine einzige Chance.
»Drei Antworten«, krächzte Oleg heiser. »Leck mich! Leck mich! Leck mich!«
Donalds Antwort blieb aus. Das Licht blieb an. Es herrschte bedrohliche Stille. Nur die Fußkette klirrte, als Oleg sich vom Boden erhob und unwillkürlich die Defensivhaltung eines Boxers einnahm. Wenigstens waren seine Hände frei. Er
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