Der Ring
Süchtigen leben so um die zwei Jahre herum. Jeder Teil der Haut gibt ihnen das Gefühl des Orgasmus, gleichgültig, welcher Außenreiz an sie herankommt. Es gibt sogar einen Teufelskult, der sich darauf spezialisiert hat. Natürlich müssen sie sich zwischen den einzelnen Ladungen einen Tag ausruhen, sonst würden sie zu früh sterben.“
„Klingt … großartig.“ Sein Mund verzog sich vor Ekel.
„Das ist auch ohne Zweifel großartig. Besonders für solche, die sowieso nicht mehr lange zu leben haben. Mir würde es nichts ausmachen, auf diese Weise hinüberzugehen, wenn ich es doch müßte. Solange ich das Geld hätte, um mich damit zu versorgen. Ein Süchtiger, dem der Stoff ausgeht …“
Er hinderte sie daran, ihm noch mehr Krabbenfleisch in den Mund zu stopfen. Sie begann, ihm mit dem Löffel heiße Nachspeise einzuflößen. „Diese Ringe“, sagte er. „Wie machen die …“
„Wollen Sie damit sagen, daß Sie über die Schocks nicht Bescheid wissen?“
„Das schon. Aber was veranlaßt sie dazu? Die Wissenschaft kann doch das Gewissen eines Menschen nicht in einen Panzer stecken, oder?“
„Aber nein, Kapitän. Ein Gewissen ist etwas Persönliches, glaube ich. Die Beringten wissen genau, wann sie ein Gesetz brechen, selbst ein kleines, und dann reagiert ihr eigenes Nervensystem und versetzt ihnen mit Hilfe des Ringes den Schock als Strafe.“
„Dann ist das ein Gesetz der Maschinen, nicht der Menschen?“
Sie nahm mit dem Löffel eine Kirsche in Schaumgebäck auf. „Wenn Sie es so sehen wollen. Aber was soll’s?“
Er schob den Löffel beiseite. „Was es soll? Der Einzelne müßte doch wohl selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist, nicht eine Maschine.“
„Dafür haben wir ja Gesetze“, sagte sie. Sie zwang ihm die Kirsche auf und sah ihm zu, wie er uninteressiert kaute.
„Im Weltraum“, sagte Smith, „würden wir auf diese Art überhaupt nichts ausrichten. Im Weltraum muß ein Mann die Freiheit haben, auch einmal gegen den Buchstaben des Gesetzes zu handeln. Glauben Sie etwa, daß ich mich immer an die Bestimmungen halte, die mir vorgeschrieben werden?“
Das Konversationsgebrabbel der anderen erstarb. Dieser Gast fing endlich an, unterhaltsam zu sein. „Wenn ich das getan hätte, dann hätte ich einen neuen Weltraumkrieg heraufbeschworen, oder auch zwei. Oder ich hätte meine Mannschaft ein Dutzendmal in den Tod geführt – und vielleicht auch vor ein Erschießungskommando. Das persönliche Urteil zählt, nicht das Gesetz Mosis.“
„Nun regen Sie sich mal nicht auf, Kapitän. Sie sind ja kein Beringter.“
„Aber nur dank der …“ murmelte er. Er kaute und schluckte. „Dieser junge Mann und das Mädchen. Was ist mit denen? Die sind beringt worden – aber haben sie denn schlimmeres getan als das, was jeder in ihrer Lage getan hätte? Oder hat jemand sie speziell aufs Korn genommen?“
„Wer weiß, Kapitän?“ Sie fütterte ihn weiter mit dem cremigen Dessert. Unter der Kruste war es von satter hellgrüner Farbe, und in den gebackenen Schaum eingeschlossen waren blaue Eiskristalle. Es freute sie, daß jetzt die Aufmerksamkeit der ganzen Gruppe auf sie gerichtet war. Wenn sie das Gespräch in Gang hielt, konnte es noch zu einem echten Schauspiel werden.
„Nehmen wir einmal an, eine moralische Entscheidung ist zu treffen. Eine, die der Ring nicht bewältigt. Nehmen wir an, ein Kind ertrinkt, und es ist dem Beringten verboten, dort zu schwimmen?“
„Dann ertrinkt das arme Kind, Kapitän. Das alberne Balg hätte eben nicht dorthin kommen sollen.“
„Das ist doch keine Antwort.“ Er wischte sich blaue Flecken vom Mund. „Das Kind kann doch hineingefallen oder hineingestoßen worden sein.“
„Dann rennt der gute Beringte zum nächsten Polizeiruf. Es ist immer einer in der Nähe.“
„Aber wenn dazu keine Zeit ist?“
„Noch ein bißchen Dessert, Kapitän?“
„Nein!“
„Dann möchte ich gern etwas.“
„Oh.“ Er fing an, sie geistesabwesend zu füttern. Das Zeug hatte einen süßen Nachgeschmack, der heiß und zugleich eisig war und sich sowohl in bezug auf seine Temperatur wie seine sonstige Beschaffenheit ständig zu verändern schien. Es war ein sogenanntes psychedelisches Gebäck – eine ihrer Lieblingsspeisen.
„Aber nehmen wir doch einmal an, es gibt überhaupt keine Wahl zu treffen – wirklich gar keine Wahl“, sprach er weiter. „Ich meine, wenn vor einem Wagen in voller Fahrt plötzlich ein Kind auftaucht, und die einzige
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