Der Ring Der Jaegerin
haben.
Ich füllte den Kessel zu drei Vierteln mit Leitungswasser und stellte ihn auf das dunkle Tuch, so dass das Mondlicht auf die Wasseroberfläche fiel. Dann setzte ich mich aufrecht hin, damit ich hineinsehen konnte. Und wartete.
Das Wasser schwappte noch leicht hin und her und beruhigte sich dann allmählich. Ich atmete tief ein und aus und ließ mich von den weichen Flügelschlägen der Musik tragen. Meine Gedanken kamen zur Ruhe, friedlich leuchtete die Kerzenflamme und vermischte ihr warmes Licht mit dem kalten Schein des Mondes im Kessel vor mir. Pfötchen schmiegte sich lautlos an meine Beine und sah mit ihren tiefgründigen Augen in die Nacht. Die Wasseroberfläche war jetzt glatt wie ein Spiegel, glänzend und klar. Oder? Weiße Flocken schienen darunter aufzuwirbeln, machten das Durchsichtige milchig, Spiralen von Nebel drehten sich in dem Kessel, und ich sammelte meine Gedanken und Gefühle zu einer großen Frage.
»Minni, wo bist du?«
Die Nebel verfärbten sich bläulich, lösten sich in Schlieren auf, und ein strahlendes Blau leuchtete mir entgegen. Saphirblau. Das Blau zog sich auf den Grund zurück, war plötzlich von Weiß umgeben, ein Tupfer Rosa erschien – dann sah ich Minni. Sie lächelte.
»Minni, wo bist du?«, fragten meine Gedanken noch einmal.
Minnis Gesicht wurde kleiner, gehörte zum Katzenkopf. Den Katzenkopf zierte ein mir vertrautes Tuch, und die Katze stand vor einer mir ebenso vertrauten Laube.
Ein erleichtertes Seufzen entstieg meiner Brust. Aber dann wollte ich wissen, warum.
Auch darauf erhielt ich eine Antwort. Ich sah eine sich aus zwei behandschuhten Händen windende Minni, die mit einem gewaltigen Sprung weit durch die Luft flog. Leider konnte ich nicht erkennen, wessen Hände es waren. Darum fragte ich: »Wer?«
Das Wasser schien zu wirbeln, Minnis Konturen verwischten und ein menschliches Gesicht erschien. Ganz kurz nur – Tamara! Dann muhte mich eine Kuh an, und das Wasser wurde trüb.
»Maumaumau!«, quakte Pfötchen auf und patschte mit demselben in den Kessel. Ich schüttelte mich leider ganz fürchterlich vor Lachen. Minni war wirklich das Allerletzte. Und diese absolut blöde Kuh, die ich da gesehen hatte, gab mir auch die ebenso absolute Gewissheit, dass ich mit ihr und nur mit ihr in Verbindung gestanden hatte. Pfötchen wollte mir offensichtlich andeuten, dass sie auch etwas gesehen und das Gesicht erkannt hatte. Sie war ganz furchtbar aufgeregt und zitterte wieder mitleiderregend. Ich hielt sie die ganze Nacht in meinen Armen und beruhigte sie.
Obwohl ich jetzt wenigstens Minni in Sicherheit wusste, fühlte ich mich in den nächsten Tagen einsam. Ich versuchte mich mit Arbeit zu betäuben, was mir tagsüber prächtig gelang. Meine Diplomarbeit bekam den letzten Schliff, Mergelsteins Ablage war noch nie so ordentlich, Pfötchens Fell knotenfrei und glänzend, ich trainierte wie besessen, meine Kondition nahm weiter zu, und die Aufgaben der Statistik-Klausur am Freitag entlockten mir nur ein müdes Lächeln.
Samstag besuchte ich Malte Buchbinder. Er saß eingesponnen in einen Haufen Bücher und Zettel an seinem Schreibtisch und kümmerte sich offensichtlich um den Laden weniger denn je. Aber er sah glücklich aus. Bis ich ihm von dem Einbruch und Minervas Verschwinden berichtete.
»Ich sagte Ihnen ja schon mal, die Tamara hat eine schlechte Ausstrahlung. Damals wollten Sie mir noch nicht so recht glauben, Frau Katharina, nicht wahr?«
»Nein. Aber da wusste ich vieles auch noch nicht.«
Er nickte und strich ein paar seiner Zettel glatt. »Jetzt sind Sie glücklicher.«
»Sie auch, Malte«, lächelte ich und tupfte an meinen Ohrring. Er lächelte zurück und reichte mir dann eine Tasse Kakao. »Erzählen Sie mir ein bisschen über Trefélin? Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie es sehr gut kennen«, forderte ich ihn auf.
»Ach, Frau Katharina, dann würde ich nicht mehr aufhören zu erzählen. Und ich habe noch so viel zu tun bis Donnerstag. Aber hier, hier in diesem Buch, ist alles beschrieben. Nur noch wenige Seiten, dann bin ich fertig. Und, Frau Katharina, darf ich Sie um einen Gefallen bitten?«
»Aber natürlich. Stehe ich nicht sowieso tief in Ihrer Schuld?«
»Nein, das bestimmt nicht. Nein! Gewiss nicht«, betonte er mit Nachdruck.
»Trotzdem, wobei kann ich Ihnen denn helfen?«
»Versiegeln Sie das Buch, wenn es fertig ist. Sie wissen schon, wie.«
Vor ihm lag dieser riesige ledergebundene Band, in dem er geschrieben hatte.
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