Der Ring Der Jaegerin
einige Wölkchen vor die Sonne schoben. In solchen Momenten war es empfindlich kalt, zumal der Wind aufgefrischt hatte, und ich war froh, den Poncho bei mir zu haben.
Es würde schwierig werden, wieder im Studio zu trainieren, zumindest in der ersten Zeit. Ich fürchtete mich vor den hämischen Blicken einiger Damen. Ich fürchtete mich auch davor, Alan mit einem dieser Mädels flirten zu sehen. Ach, Dreck! Aber konnte ich denn auf meine Macht verzichten? Durfte ich das überhaupt? Und selbst wenn, wie sollte ich Alan davon überzeugen? Nicht nur die Sonne verdüsterte ihr Gesicht, auch in mir zogen schwarze Wolken auf. Und mir wurde innerlich kalt. Resigniert sog ich die Luft ein. »Lass es einfach schmerzen, Katharina!«, befahl ich mir, und danach ging es ein bisschen besser. Die Blasen aus dem zähen, schwarzen Teer der Verzweiflung blubberten hoch, und ich ließ sie in mir aufplatzen wie Eiterbeulen. Was konnte ich schon gegen die Verzweiflung tun?
Schritt für Schritt näherte ich mich dem Felsen, der jetzt klar und scharf umrissen in den Abendhimmel ragte. Die Sonne stand tief, die Wolken nahmen ihr rotes Glühen auf. Vögel zwitscherten ihren Abendgesang, und der Wind legte sich.
Und doch war da noch ein anderes Geräusch. Waren es Schritte? Ich drehte mich alarmiert um und stand Tamara gegenüber. So ein elender Mist! Hier hatte sie nun wirklich nicht zu sein.
Sie sah verwahrlost aus, ihr Pullover von Dornen und Zweigen zerrissen, ihre Jeans voller Brandflecken, über ihrem Rücken baumelte ein schmieriges Tuch mit ihren Habseligkeiten, die Haare verfilzt und schmutzig und das Gesicht zerkratzt. Aber ihre Augen funkelten mich zornig an.
»So, du willst zurückgehen, was, Birgit-Katharina?«
»Ja, Tamara. Ich gehe zurück. Ich kann hier nicht helfen, denn ich habe das Wichtigste verloren, was ich brauchte.«
»Helfen wolltest du, ach wie schön. Einem dieser dummen Tiere wolltest du helfen. Aber als ich mit schmerzendem Rücken um Hilfe bat, da war dir das zu viel, dich an dem Heilkreis zu beteiligen.«
Ach du liebes bisschen, das hatte die dumme Pute auch gemerkt. Aber was soll’s, ich musste jetzt so lange mit ihr reden, bis entweder die beiden Graukater mich vermissten und mir entgegenkamen oder Minni und Ramses hinter mir auftauchten.
»Ich meine, du überschätzt wahrscheinlich meine Kräfte, Tamara. Ich glaube nicht, dass ich dir damals hätte helfen können. Außerdem haben die anderen es ja sowieso ganz alleine geschafft.«
»Vielleicht überschätze ich deine Kräfte wirklich. Aber du hattest das Buch, und in dem Buch steht alles drin, was man braucht, um wirklich mächtig zu werden.«
»Ach ja? Ich dachte, das sei nur so eine Idee von Cosmea, um ein bisschen Hokuspokus zu machen. Hast du denn schon in das Buch hineingesehen?«, fragte ich unschuldig.
Sie lachte hämisch auf. »Das wüsstest du wohl gerne.«
»Sicher. Ich habe es schließlich nicht geschafft, mehr als sechs Siegel zu öffnen, und man ist ja schließlich neugierig. Vielleicht hätte ich das siebte Siegel doch lösen sollen, bevor ich hier hinkam.«
»Dir wäre das sowieso nicht gelungen!«, höhnte sie.
»Nein? Warum nicht, die sechs ersten ließen sich ganz leicht abheben.«
Sie ging nicht darauf ein. »Du hast es nicht gelöst, und du wirst es nicht lösen. Und du wirst mir auch nicht mehr in die Quere kommen«, fauchte sie plötzlich und hielt den Dolch in der Hand. Das fand ich nicht besonders lustig.
»Gib mir den Ohrring, aber ein bisschen schnell. Bis hierher habe ich es mit einem blöden Spruch geschafft, aber jetzt brauche ich Unterstützung.«
Woher wusste sie das denn nun schon wieder? Oh, Maltes Buch. Darin hatte er die Ohrringe sicher erwähnt. Spiel auf Zeit, Katharina!
»Meinen Ohrring? Aber Tamara, was versprichst du dir denn davon?«
»Das weißt du ganz genau! Los, mach schon, oder soll ich ihn dir mitsamt dem Ohr vom Kopf schneiden?«
Sie näherte sich bedrohlich. Und keine Hilfe in Sicht. Ich sah meinen Dolch in ihrer Hand und versuchte mich darauf zu konzentrieren. Es konnte doch nicht sein, dass mein eigener Dolch sich gegen mich wandte. Zumindest ein Teilerfolg trat ein, er begann in ihrer Hand aufzuleuchten und zu zittern. Verblüfft sah sie ihn eine Sekunde lang an. Dann giftete sie: »Ach, ich hätte deine Kräfte überschätzt. Na, dann unterschätzt du meine!«
Der Dolch hörte auf zu glühen, und ich hatte das Gefühl, eine gewaltige Energie würde über ihn aus mir herausgesogen.
Weitere Kostenlose Bücher