Der Ring des Highlanders: Roman (German Edition)
wölbte die Brust und straffte die Schultern. »Letzten März bin ich vierzehnhundertundfünfundneunzig geworden.«
»Jahre?«, japste Libby.
»Natürlich Jahre«, brummte er. Er drehte sich um und ging von der Veranda. In der Mitte der Zufahrt blieb er stehen, blickte zurück und deutete auf seinen Stab. »Sie müssen sich von der ärztlichen Denkweise lösen und dürfen Menschen und Dinge nicht in Schubladen sortieren. So läuft es im Leben nicht. Ihr Kopf wird sonst vor Frust noch platzen.«
Er drehte sich leicht, mit dem Stab auf ein vom Frost vernichtetes Blumenbeet deutend, und murmelte leise ein paar Worte. Aus dem Ende des Stabes schoss ein Lichtbogen und traf die erfrorenen Blumen mit so viel Kraft, dass eine Staubwolke aufgewirbelt wurde.
Libby trat einen Schritt zurück.
Als der Staub sich legte, sah sie, dass die Blumen in voller Blüte standen, mit grünen Blättern und bunten Blüten. Der ganze Garten sah aus wie im Frühling.
»Halten Sie sich vor Augen, dass der Lauf der Zeit eine dieser Schubladen ist«, sagte Vater Daar. »Sie existiert nur für Uhrmacher. Denken Sie im Umgang mit MacBain daran.«
Während diese kryptische Äußerung noch lange, nachdem er gegangen war, in der Luft hing, konnte Libby ihren Blick nicht von den blühenden Blumen abwenden.
Ein Magier?
Verdammt, womöglich war sie schon völlig verrückt geworden.
12
B is fünf Uhr abends hatte Libby genau das getan, wovon Vater Daar ihr abgeraten hatte – sie hatte die unerklärlichen Ereignisse des Morgens fein säuberlich unter der Aufschrift ›später darüber nachdenken‹ abgelegt.
Im Moment war sie sehr zufrieden mit sich, aber auch erstaunt, weil sie entdeckt hatte, dass sie sich gern häuslich betätigte. Ihr Apfelkuchen kühlte auf der Theke aus, auf dem Herd kochten Kartoffeln, und das ganze Haus roch nach Brathähnchen. Der Tisch war mit Geschirr gedeckt, das im Hause Sutter offensichtlich viele Mahlzeiten überstanden hatte, und das Verandalicht brannte zum Empfang der Gäste.
Aber als Erstes traf ein nicht geladener, aber nicht unwillkommener Überraschungsgast ein. Libby spülte ihre Backform, als sie draußen ein Geräusch hörte und durch das Fenster sah. Robbies zahme Schneeeule saß auf der Verandabrüstung und blickte Libby an, in einer der scharfen Fänge einen großen Stock.
Libby wischte sich die Hände an der Schürze ab und trat vor die Tür auf die Veranda. »Hallo du«, sagte sie und näherte sich der Eule. »Was hast du denn da?«
Mary breitete ihre Schwingen aus, um das Gleichgewicht zu halten, und öffnete die Fänge. Der Stock fiel auf den Verandaboden. Libby bückte sich danach, hob das Holz auf und prüfte es im Licht.
Es war ein eher dicker Stock, etwa zwei Fuß lang, und es schien Hartholz zu sein, obwohl sie die Sorte nicht erkennen konnte. Er war mit schönen Knötchen versehen und zu einem glatten schimmernden Grau verwittert. Er war schwer, und er fühlte sich warm an.
Libby schaute die Eule an. »Vermutlich möchtest du, dass ich dies an mich nehme«, sagte sie und verdrängte ihr Unbehagen, weil sie mit einem Vogel sprach. »Ich kenne zwar den Grund nicht, aber ich danke dir für das schöne Geschenk.«
Sie wollte wieder ins Haus gehen, hielt aber inne, als sie merkte, dass man ihr folgte. Sie blickte nach unten und sah, dass Mary hinter ihr über den Verandaboden hüpfte.
Libby zögerte, ehe sie mit einem resignierten Seufzer die Küchentür öffnete und beiseitetrat. Mary betrat das Haus, als wäre sie hier zu Hause. Libby folgte ihr, ließ aber die Tür so weit offen, dass der unheimliche Vogel hinauskonnte, falls er das wollte.
Ach, wenn ihre Collegefreundinnen in Kalifornien sie jetzt hätten sehen können. Auch Grammy Bea wäre es schwergefallen zu glauben, dass ihre Enkelin eine Eule als Gast hatte, und noch weniger, dass sie mit ihr redete.
»Fühl dich ganz wie zu Hause«, sagte Libby gedehnt und beobachtete, wie die Schneeeule auf die Lehne des Schaukelstuhls in der Küche flog.
Mary drehte sich zu ihr um, klappte die Flügel zusammen und blinzelte Libby träge an. Libby fragte sich, ob sie ihrem Gast etwas Essbares anbieten sollte. Aber was?
Libby lehnte den Stock an die Wand unter den Kleiderhaken und lief, um die Kartoffeln vor dem Überkochen zu retten. Sie sah nach und stellte fest, dass sie fertig waren. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass ihre Gäste in zwanzig Minuten eintreffen würden.
Libby zog das Hähnchen aus dem Rohr und inspizierte es. Dem
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