Der Ritter von Rosecliff
lernen und dabei zweifellos sehr viel über die Engländer und ihre Burg erfahren. Doch sie würde sich niemals von schönen Kleidern und gutem Essen verführen lassen. Im Herzen würde sie immer eine treue Waliserin bleiben, und eines Tages wenn sie wieder frei war - könnte sie ihr Wissen ausnutzen, um ihrem unterjochten Volk zu helfen.
Erfüllt von neuem Selbstbewusstsein, warf sie ihrer Landsmännin einen Seitenblick zu. Früher hatte sie die ältere Freundin bewundert und ihr nacheifern wollen. Diese Rolle würde sie jetzt wieder spielen. Sie konnte von Josselyn gute Umgangsformen und anmutiges Benehmen lernen, und vielleicht würde sie sogar begreifen, wie man in einer riesigen Burg den Überblick bewahrte und Dienstboten richtig behandelte.
Aber irgendwann würde sie fliehen und Rhys in seinem Kampf gegen die Engländer unterstützen! Nachdem sie jetzt einen Plan hatte, fühlte sie sich wesentlich besser und aß alles auf, was man ihr vorgesetzt hatte.
»Siehst du«, sagte Josselyn lächelnd. »So schlimm ist es doch nicht hier bei uns zu sein.«
»Ich werde es ertragen können«, murmelte Rhonwen mit etwas schlechtem Gewissen, weil sie soeben beschlossen hatte, ihre großmütige Freundin wieder zu hintergehen.
Josselyn hob eine Hand, und sofort wurde das Dessert serviert: kleine Kuchen und Bratbirnen. Rhonwen lief das Wasser im Munde zusammen, doch aus Trotz schüttelte sie den Kopf, als diese Delikatessen ihr angeboten wurden. Nein, so sehr wollte sie ihr Essen unter Feinden dann doch nicht genießen. Das ließ ihr Stolz nicht zu.
Sie stand auf und wollte den Tisch verlassen, aber Jasper packte sie am Arm. »Du bleibst hier! «
»Darf ich nicht einmal austreten gehen?«
»Nicht allein!«
»Also wirklich, Jasper«, rief Josselyn ihren Schwager zur Ordnung. »Wenn Rhonwen eine Dame werden soll, muss sie auch wie eine Dame behandelt wer- den, und man kommandiert eine Dame nicht herum.«
»Verdammt!«, explodierte er. »Sie ist eine Gefangene, nicht das süße kleine Mädchen, an ' das du dich von früher erinnerst. Sie ist ein ... « Er verstummte und knirschte mit den Zähnen.
»Im Grunde hat sie sich seit damals kaum verändert«, erwiderte Josselyn ruhig und drückte Rhonwen die Hand - eine Geste der Zuneigung, die das junge Mädchen verstörte. Sie durfte die Freundin von einst nicht -wieder ins Herz schließen, sonst würde sie ihre geheimen Pläne nicht in die Tat umsetzen können! Deshalb zog sie ihre Hand hastig zurück. »Darf ich bitte austreten?«, fragte sie Josselyn höflich.
Zu ihrem großen Kummer entschied Josselyn nach kurzer Beratung mit Jasper, dass er sie bis zur Tür des Klosetts begleiten solle. Als sie den kleinen Raum wieder verließ, mied er ihre Augen und befahl kurz angebunden: »Komm mit!«
»Was denn jetzt?«, murmelte sie.
Er führte sie in die Küche, wo ein Bursche damit beschäftigt war, heißes Wasser aus großen Töpfen in eine riesige Holzwanne zu schütten. Gleich darauf kam Josselyn, schwer beladen mit Handtüchern und Kleidungsstücken.
»Ah, da bist du ja!«, rief sie fröhlich- »Wenn du gebadet und dich umgezogen hast wirst du dich bestimmt viel wohler fühlen. Anschließend kannst du zu mir in den Söller kommen. «
»Dann gehe ich jetzt«, knurrte Jasper und wandte sich zum Gehen.
»Was, wenn sie einen Fluchtversuch unternimmt?«, fragte Josselyn scheinheilig.
Er runzelte die Stirn. »Das wird sie nicht wagen.«
»Vielleicht doch«, sagte Rhonwen aus purem Widerspruchsgeist.
»Nein!«
Sie zuckte lächelnd mit den Schultern.
»Vielleicht solltest du sie doch lieber bewachen«, forderte Josselyn ihren Schwager auf, während sie Seifen und Handtücher auf einen Stuhl neben der Wanne legte.
Ein Schauer lief Rhonwen über den Rücken. Jasper sollte ihr beim Baden zuschauen?
Ihm schien dieser Gedanke zuzusagen, denn er lehnte sich grinsend an den Türrahmen. »Also gut ich bleibe hier.«
Rhonwen schaute Josselyn entsetzt an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein?«
Josselyn deutete auf Haken an der Decke. »Keine Angst ein Vorhang wird dich vor Blicken schützen. «
»Warum kann er nicht draußen warten?«
»Hier gibt es zwei Türen«, erklärte Jasper. »Und jede Menge Messer und sonstige Werkzeuge, die du als Waffen benutzen könntest. Josselyn hat Recht - ich muss aufpassen.«
Er nahm grinsend auf einem Stuhl gegenüber dem Herd Platz. »Beeil dich, Rhonwen. Ich habe Wichtigeres zu tun.« .
»Dann lasst mich doch von jemand Anderem bewachen.
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