Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
»Vielleicht sollten wir unsere Zelte hier wieder aufstellen«, sagte er. »Wollt Ihr die Große Halle belegen?«
»Natürlich. Sie wird gerade ausgeräumt«, sagte sie. »Es ist Fastenzeit; alle Wertgegenstände sind ohnehin bereits weggeschafft.«
Einer der großen Wagen überfuhr gerade die Schwelle des Haupttores. Er passte nur knapp unter den Torsturz hindurch.
»Zeigt mir Eure Lagerräume«, bat er.
Sie führte ihn von einem Keller in den nächsten und schließlich zu einer langen, gewundenen Treppe, die bis tief hinein in das Herz des lebendigen Felsens unter ihren Füßen führte, wo eine Quelle sprudelte und sich in einen Teich von der Ausdehnung eines kleinen Sees ergoss. Als sie von dort wieder heraufkletterten, war die Äbtissin langsamer als beim Abstieg.
Der Hauptmann wartete, während sie sich ausruhen musste.
»Gibt es dort unten einen weiteren Zugang?«, wollte er wissen.
Sie nickte. »Natürlich. Wer würde einen solchen Berg aushöhlen und keinen weiteren Eingang anlegen? Aber ich habe nicht mehr die Kraft, ihn Euch zu zeigen.« Sie traten wieder durch die Geheimtür hinter dem Altar der Kapelle, und sofort war die Äbtissin von grau gekleideten Mitschwestern umringt, die allesamt ihre Aufmerksamkeit beanspruchten. Es ging um den Altar, um die Blumen für den nächsten Gottesdienst, um Beschwerden über den Regen blasphemischer Flüche, die von den Wänden widerhallten, da nun die Söldner Einzug gehalten hatten.
»Ihr verdammten Schwanzlutscher schiebt eure Ärsche sofort in die Rüstungen, oder ich beiße euch die verlausten Schädeldecken ab und rammle euch ins Hirn«, stutzte Tom Schlimm gerade ein ganzes Dutzend Kämpfer zusammen. Der Tonfall erinnerte an harmloses Geplauder, das jedoch in einen Augenblick der Stille fiel und durch den Widerhall in alle Winkel der Abtei getragen wurde.
Eine ältere Nonne starrte ihre Äbtissin in stummer Bitte an.
»Eure Schwestern schweigen«, sagte der Hauptmann.
Die Äbtissin nickte. »Sie dürfen nur sonntags sprechen. Den Novizinnen und Älteren ist es zwar erlaubt zu reden, wenn es unbedingt nötig sein sollte – was bei den Älteren sehr selten und bei den Novizinnen recht oft der Fall ist.« Sie hob die Hände. »Ich bin ihre Botschafterin in der Welt.« Sie deutete auf die Gestalt, die ihr folgte; ihr Kopf war durch die Kapuze verhüllt. »Das ist Schwester Miram, meine Vikarin und Cellerarin. Sie darf ebenfalls sprechen.«
Der Hauptmann verneigte sich vor Schwester Miram, die den Kopf leicht schräg hielt.
»Aber sie zieht es vor zu schweigen«, erklärte die Äbtissin.
Wohingegen du … Der Hauptmann vermutete, dass ihr das Sprechen mehr Spaß machte, als sie zugab, und dass sie sich gern mit ihm unterhielt, da sie in ihm einen Erwachsenen vor sich hatte, mit dem sie sich messen konnte. Doch er bezweifelte keineswegs ihre Frömmigkeit. Nach Ansicht des Hauptmanns gab es drei Arten von Frömmigkeit – falsche, heuchlerische und hart erarbeitete, tiefe und echte. Er war der Meinung, dass er diese Arten gut auseinanderhalten konnte.
Am anderen Ende der Kapelle stand Pater Henry. Er wirkte gehetzt und schien sich weder gebadet noch rasiert zu haben. Der Hauptmann sah die Äbtissin an. »Euer Priester befindet sich nicht gerade in einem guten Zustand«, sagte er.
Er wusste, dass sie in der letzten Nacht ein Phantasma über ihn gelegt hatte. Sie hatte es mit großem Geschick gewirkt und dadurch enthüllt, dass sie mehr als eine rein mathematische Astrologin war. Sie war eine Zauberin. Vermutlich hatte sie genau bemerkt, wie er seinen Zauber über ihren Hof und ihre Schwestern gelegt hatte.
Und sie war nicht die einzige Zauberin hier. Es gab viele ineinandergreifende Räder, die zur Macht dieses Ortes beitrugen. Er sah Schwester Miram an und tastete vorsichtig mit seiner Macht nach ihr – wie mit einer dritten Hand.
Aha. Es war, als hätte Schwester Miram dieser dritten Hand gerade einen Klaps versetzt.
Die Äbtissin betrachtete den Priester eingehend. »Er ist verliebt in mich«, sagte sie herablassend. »Mein letzter Liebhaber. Heiliger Jesus, hätte man mir nicht einen schönen und sanften Mann schicken können?« Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Ich vermute, er wurde mir zur Buße gesandt … zur Erinnerung an das, was ich einmal gewesen bin.« Sie zuckte mit den Achseln. »Die Ritter unseres Ordens haben uns im letzten Winter keinen Priester geschickt, also habe ich diesen hier aus der örtlichen Gemeinde geholt. Er
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