Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
grub das Messer wieder ins Hirn.
Es war so verdammt finster. Er zog eine Kerze aus dem Sack, der an seinem stetig unruhiger werdenden Pferd hing, und entzündete sie mithilfe von Zauberei. Es war vollkommen windstill, die Kerze zischte im leichten Regen. Er entzündete noch zwei weitere und verschwendete dabei kostbares Bienenwachs.
Nun bohrte er ein weiteres Loch ins Hirn, aber es hatte keinen Sinn. Es war schon zu stark verwest. Oder seine Theorie war vollkommen falsch. Oder die Theorie des Aristoteles war vollkommen falsch.
Der Magus ließ den Körper halb ausgegraben im Regen liegen. Er wusch sich die Hände im Bach am Fuß des Hügels, packte die Messer wieder ein, löschte die Kerzen und belud sein Pferd, das nun bei jedem Laut scheute. Er streckte die Arme aus und spürte, wie sich die Macht im Norden zusammenzog.
Jesu Christe.
Der Magus hielt inne, als er den einen Fuß schon in den Steigbügel gestellt hatte. Da war etwas …
Die Kreatur verriet sich durch ein Knurren, und die Stute bäumte sich auf. Harmodius gelang es, die Hand um den Sattelknauf zu legen und hielt sich daran fest, während sich das verängstigte Tier umdrehte. Harmodius nutzte den Schwung, um das Bein über den Sattel zu werfen und aufzusitzen. Der Mond war kaum mehr als eine schwache, ferne Sichel, der Regen verdeckte die Sterne, und die Nacht war finster. Er betete schnell und wirr darum, dass sein Pferd auf der Straße bliebe.
Endlich bekam er auch den rechten Fuß in den Steigbügel und zerrte an den Zügeln. Doch sein Pferd Ginger gehorchte nicht.
Er zog noch heftiger und tastete nach dem Stock, den er als Reitpeitsche verwendete. Es schien Stunden zu dauern, bis er ihn an seinem Gürtel gefunden hatte, und weitere Stunden, bis Harmodius ihn fest gegen den Hals des Tieres gepresst hatte; diesen Kniff hatte er von einem Ritter gelernt.
Er wirkte einen einfachen Gedanken, ein Phantasma, das es ihm erlaubte, in der Finsternis zu sehen.
Was er da sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das Pferd bäumte sich wieder auf, und beinahe wäre er nach hinten abgeworfen worden.
»Süßer Jesus!«, rief er.
Etwas stand mitten auf der Straße und erwartete ihn.
Irgendwo links von ihm, tief im Nordwesten, explodierte der Himmel in einem langen, orangefarbenen Blitz. Sein schwaches Licht erhellte den vertrauten – den allzu vertrauten – Umriss der Kreatur, die sich auf der Straße befand.
Sie warf den Leichnam beiseite und sprang ihn an. Doch er konnte noch das Zucken der Kraft aus dem Norden spüren. Und er vermochte noch darüber nachzudenken, dass ihn der lang anhaltende orangefarbene Lichtblitz hinter dem Horizont weit vor dem Zusammenziehen der Macht erreicht hatte, was für einen Hermetiker von großer Bedeutung war. Er hatte die Auswirkungen von Entfernung auf die Macht noch nie richtig erforscht …
Diese Gedanken bildeten eine Art von Panik; keiner von ihnen stand in einer Verbindung mit dem Ungeheuer auf der Straße vor ihm oder mit der Welle des Schreckens, die es aussandte und die ihn wie eine Faust aus Angst traf.
»Adveniat regnum tuum«, spuckte der Magus aus.
Eine Feuerlanze zuckte aus seiner Reitgerte und badete den Kopf der Kreatur einen Atemzug lang in Flammen. Die flüssigen Teile des Ungeheuerkopfes verdampften, und sein Schädel barst, während Lohen aus ihm schlugen.
Das Feuer ging aus; nur einige blassblaue Zungen blieben zurück, die über den Hals des Geschöpfes leckten, bevor auch sie verlöschten.
Stille setzte ein, in der der Schwanz der Kreatur noch einige Male über den Boden peitschte, um dann vollends zu erstarren.
Die Stille setzte sich fort, immer weiter. Die Nacht roch nach versengten Haaren und verbrannter Seife.
Der Magier holte tief Luft. Er hob seine Reitgerte und blies sanft auf die silberne Rune, die im Knauf steckte. Er lächelte in sich hinein, obwohl ihm die Erschöpfung wie ein Kettenhemd auf die Schultern drückte, und erlaubte sich ein kurzes meckerndes Lachen.
Er beobachtete den nördlichen Horizont, wo das Feuer wieder aufflackerte, dann stieg er ab, ging durch die Dunkelheit zum Kopf des Geschöpfs und murmelte: »Fiat lux.« Sein Licht war blau und blass, aber es reichte aus.
Er schnalzte mit der Zunge, streckte seine Sinne in die Nacht aus, zuckte vor dem zurück, was sie entdeckten, und rannte zu seinem Pferd.
Östlich von Lissen Carak · Peter
Peter lag im Zustand wütender Erschöpfung da und beobachtete das Flackern des blassen Lichtes im fernen Westen. Er
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