Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
als schrecklich. Stattdessen fand er sie wunderschön – auf eine Weise, wie ein Handwerker seinen vollkommenen Meißel betrachtete, der in seine Hand passte, als wäre er für sie erschaffen worden.
Thorn klopfte mit seinem großen Stab auf den Boden. »Geht«, sagte er zu seinen Hauptmännern.
Lissen Carak · Die Äbtissin
Die Äbtissin spürte die Magie, die er wirkte. Sie hatte sich hingelegt und wollte sich ausruhen, doch es geschah früher, als sie erwartet hatte, und so setzte sie sich auf und griff mit ihrem Geist nach den Fäden der Macht, die sie an ihren Stein banden.
Sie spürte ihn dort draußen in der Dunkelheit, wie er plante, ihr Heim zu zerstören, und sie kniff die Augen zusammen und fuhr an dem Faden entlang, der sie auf ewig miteinander verband.
Verräter!, sagte sie und schleuderte ihm dieses Wort mit der Verachtung entgegen, zu der nur eine Frau in der Lage war.
Sophia!, rief er in den Äther hinein.
Sie warf ihm ihren Trotz entgegen und spürte, wie ihr Gift sein Ziel traf. In dem Augenblick seiner Verwirrung konnte sie ihn lesen und erkannte, dass er eine Falle vorbereitet hatte. Wie sie schon lange vermutet hatte, hatten sie tatsächlich einen Verräter in ihrer Mitte.
Dann rannte sie zum Hof. Ihre nackten Füße tappten über den Steinboden, ihr loses Haar flog wie der Schweif eines Kometen hinter ihr her.
Sie spürte, wie er reagierte, und sie errichtete ihre Verteidigung. Sie spürte, wie er seine ebenfalls errichtete – ganz langsam. Doch als die Mauer stand, war sie so stark, als bestünde sie aus Eisen. Sie spürte ihn nicht einmal mehr dahinter, sondern konnte nur noch vermuten, dass er da war. Sie betete, während sie rannte – betete um seinen Untergang.
Der junge Hauptmann stand neben seinem Schlachtross im Hof, und zwanzig Ritter befanden sich hinter ihm.
»Dort hinaus dürft Ihr nicht gehen!«, schrie sie. »Er wartet auf Euch! Es ist eine Falle!«
Der Hauptmann schenkte ihr ein seltsames Lächeln und winkte Michael zu, der seine Beckenhaube trug. »Er kommt schon herbei, ja?«, fragte er sie und wandte sich dann an seine Ritter. »Aufsteigen!«, rief er.
Sie packte sein Zaumzeug, und sein großes Kriegspferd, das so schnell wie der Blitz war, biss nach ihrer Hand. Nur die sofortige Reaktion des Roten Ritters rettete sie. Er schlug mit der flachen Hand gegen Grendels Hals. Das Pferd machte einen Schritt zurück und warf den Kopf hoch, als wollte es sagen: »Ich hätte es gekonnt, wenn ich es wirklich gewollt hätte.«
»Er kommt jetzt …«
Sein Knappe setzte ihm den Helm auf den Kopf und legte das Kettengewebe des Halsschutzes so zurecht, dass es bis auf seinen Panzer fiel. Der Hauptmann reckte Arme und Schultern, links und rechts. Überall im Hof hielten die Knappen die Panzerhandschuhe hoch, steckten sie auf die Hände ihrer Herren und griffen dann nach den Lanzen, die so groß wie kleine Bäume und auch genauso dick waren. Lange Spitzen saßen auf ihnen.
Das Gesicht des Hauptmanns erschien unter dem Rand seines Helms. Er lächelte. »Ja« sagte er, »ich spüre ihn.« Und lachte. »Was habt Ihr getan?«
»Ich habe ihm gesagt, was ich von ihm halte«, sagte sie. »Er hat eine Frau verschmäht – nur um der Macht willen?« Sie warf den Kopf zurück und lachte. Es klang wahnsinnig.
Als Michael seinen Helm hin und her bewegte und ihn sicherte, sagte der Hauptmann: »Ich vermute, das war ein heftiger Schlag.«
Sie schüttelte den Kopf. »Seine Eigenliebe wird ihm schnell darüber hinweggeholfen haben. Aber ich habe in ihn hineingeblickt. Er hat einen Verräter in der Festung.«
»Ich weiß«, sagte der Hauptmann. »Ich hatte es Euch auch bereits gesagt.« Er schenkte ihr ein böses Lächeln. »Dieser Verräter hat unserem Feind bisher eine etwas ungenaue Version der Ereignisse geliefert. Es heißt jetzt oder nie. Da kann er so viele Fallen aufstellen, wie er will. Manchmal geht es nur um Schnelligkeit und Wagemut. Er ist vorsichtig. Er fühlt sich sicher.« Der Hauptmann schien von der Macht, die er in sich gesammelt hatte, zu glühen. »Er will diesen Kampf«, sagte er. »Und ich will ihn auch. Einer von uns aber irrt sich. Wir können nur unser Bestes geben, also passt auf Euch auf, Mylady.«
Das Haupttor glitt auf.
»Folgt mir!«, befahl der Hauptmann.
Sie trat aus dem Weg und sah ihm zu, wie er hinausritt. Das Hufgeklapper klang schrecklich endgültig, und auch die Ritter setzten sich nun in Bewegung. Sie winkten ihr zu; Francis Atcourt nahm ihren
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