Der Rote Krieger: Roman (German Edition)
lebten noch, ebenso wie viele der Diener und einige Knappen.
Der Hauptmann war schwer aufzufinden. Einige behaupteten, er sei betrunken, andere sagten, er befinde sich bei seiner hübschen Novizin, und wieder andere gaben an, er warte dem König oder den Rittern vom heiligen Thomas auf.
Nichts davon traf zu.
Der Hauptmann verbrachte einen großen Teil der Zeit mit Weinen, und dann begrub er die Toten seiner Truppe. Sie lagen in langen Reihen nebeneinander, von Meg und ihren Freundinnen, die nun still im leichten Regen dastanden, in weißes Leinen eingenäht. Dora Candleswain stand neben Kaitlin Lanthorn, und die Carter-Schwestern beobachteten ihren geretteten Bruder, der zusammen mit Daniel Favor in den Reihen der überlebenden Soldaten stand.
Nun erschienen die Ritter des heiligen Thomas im Regen. Der Prior schritt ihnen voran und las die Totenmesse. Tom Schlimm, Pampe, Ranald und der Hauptmann senkten die Leichname in die Gruben. Da waren Carlus der Schmied, im Tod kleiner, aber nicht leichter als im Leben, dann Lyliard, der nun nicht mehr der schönste Mann der Truppe war. Sie hatten Grabsteine erhalten, in die der achtstrahlige Stern des Ritterordens eingelassen worden war. Das galt zahlreichen der Männer und Frauen besonders viel – es war ein besseres Begräbnis, als es sich die meisten Söldner vorstellen konnten.
Insbesondere ein Leichnam machte dem Hauptmann zu schaffen. Er weinte für sie alle, und er weinte über seine eigenen Fehler und die Irrtümer der anderen und auch noch wegen tausend anderer Dinge – aber Jacques war die letzte Verbindung zu seiner Kindheit gewesen. Die war nun unwiderruflich dahin.
Deine Mutter lebt noch, Junge. Zählt sie etwa nicht?, fragte der alte Magus in seinen Gedanken.
»Könntest du bitte den Mund halten?«, murmelte der Hauptmann dem Eindringling in seinem Kopf zu.
Pampe sah ihn an, denn in der letzten Zeit redete er oft mit sich selbst. Überdies half sie Dora Candleswain in jeder Nacht, das Weinen zu überwinden. Sie war sehr empfindsam und spürte, wenn die anderen Männer und Frauen in der Truppe kurz vor dem Zusammenbruch standen oder ihn bereits erlitten hatten. Nicht alle Wunden bluteten.
Nun standen alle Überlebenden im leichten Nieselregen. Atcourt und Brewes ebenso wie Langpfote. Ser Alcaeus, der den roten Wappenrock trug und sich zu den Rittern gestellt hatte. Johne le Bailli. Bent. Ohnekopf. Ritter und Knappen und Bogenschützen und Diener, Männer und Frauen, Soldaten und Huren und Wäscherinnen und Bauernmädchen. Und alle sahen den Hauptmann an und warteten darauf, dass er etwas sagte.
Er war ein Narr, denn er hatte sich gar nicht vorbereitet. Aber das Verlangen der anderen war deutlich zu spüren – wie ein zwingender Zauber.
»Wir haben gewonnen«, sagte er. Seine junge Stimme klang so rau wie das Krächzen eines Raben. »Wir haben die Festung gegen die Macht der Wildnis gehalten. Aber keiner dieser Männer und Frauen ist für die Festung gestorben, oder?«
Er sah Jehannes an. Der ältere Mann erwiderte seinen Blick und nickte knapp.
»Sie sind für uns gestorben. Wir sterben füreinander. Draußen in der Welt lügen und betrügen sie einander, aber wir hier tun das nicht.« Zwar war er sich der Tatsache nur allzu deutlich bewusst, dass sie es manchmal doch taten. Aber auf Beerdigungen waren große Worte angebracht. Auch das wusste er. »Wir tun unser Bestes, um die Linie zu halten, damit der Mann neben uns überleben kann. Wir, die wir noch leben, wir verdanken unser Leben den Gestorbenen. Es hätte uns erwischen können. Aber es hat sie erwischt.« Ihm gelang ein Lächeln. »Niemand kann etwas Größeres tun, als sein Leben für das seiner Freunde hinzugeben. Jeden Schluck Wein, den ihr von jetzt an trinken werdet, jedes Liebesspiel, jedes Erwachen, jedes Einatmen der Frühlingsluft habt ihr jenen zu verdanken, die hier in der Erde liegen.« Sein Blick fiel auf das kleinste Bündel – Sym. »Sie sind als Helden gestorben – gleichgültig wie sie gelebt haben.« Er zuckte die Achseln und sah den Prior an. »Ich vermute, das ist theologisch nicht korrekt.« Er wollte noch mehr sagen, aber nun musste er weinen und kniete auf dem feuchten Erdhügel nieder, unter dem Jacques lag.
Der ihm so viele Male das Leben gerettet hatte.
»Jesus sagt: Ich bin der Weg und das Leben«, sagte der Prior mit ruhiger, dunkler Stimme.
Der Hauptmann verschloss die Ohren vor den Gebeten seiner Truppe.
Schließlich spürte er eine Hand auf seiner
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