Der Rote Mond Von Kaikoura
schweigen.
Von nun an wartete ich regelrecht darauf, dass das Mädchen wieder an dem Steinkreis auftauchte. Ich rechnete mir keine besonders großen Chancen aus, doch vielleicht würden die Götter ein Einsehen mit mir haben und sie wieder zu mir führen. Während ich meinen Blick über die Landschaft schweifen ließ, achtete ich auf jedes Geräusch hinter mir. Bei jedem Knacken wirbelte ich herum, meist nur, um enttäuscht festzustellen, dass es nicht sie war, sondern irgendein Vogel, der sich an diese Stelle verirrt hatte.
Eines Tages wollte ich schon wieder ins Dorf zurückkehren, als sie plötzlich vor mir stand – so, als hätte sie geahnt, dass ich kurz davor war, aufzugeben.
Während in mir der leise Verdacht aufkeimte, dass sie mich die ganze Zeit über beobachtet hatte, lächelte ich ihr zu, sagte diesmal aber nichts. Sie erwiderte mein Lächeln, machte aber ebenfalls keinen Versuch, etwas zu sagen. Schweigend standen wir uns gegenüber, lächelten noch eine Weile, dann wurde unser Blick ernst. Schließlich machte sie kehrt und verschwand ohne ein Lachen oder sonst einen Ton im Gebüsch. Nicht einmal ihre Schritte waren zu hören, ganz wie bei einem Geist. Ich glaube nicht an Geister, doch in diesem Augenblick war ich mir nicht sicher.
Auch am nächsten Tag und den folgenden trafen wir uns wieder dort. Obwohl ich liebend gern mit ihr ein paar Worte gewechselt hätte, freute ich mich schon am Morgen auf unser stummes Zusammentreffen.
Allerdings konnte ich schon bald nicht mehr so viel freie Zeit genießen wie früher. Meine Wunden waren verheilt, und mein Gewissen befahl mir, mich nützlich zu machen. Ich half also Aperahama, so gut es ging, und versuchte auch, mich an anderen Stellen nützlich zu machen. Je mehr Wörter mir der Heiler beibrachte, desto besser konnte ich mich mit den Männern im Dorf verständigen und Missverständnisse vermeiden.
Und so kam eines Tages der Baumeister des Stammes zu Aperahamas Hütte, um ihn zu bitten, mich ausleihen zu dürfen, ganz so, als sei ich das Eigentum des Heilers. Vielleicht war ich das auch wirklich; indem er mir das Leben gerettet hatte, stand ich in seiner Schuld. Allerdings ließ er mich das niemals spüren.
Mit Freuden akzeptierte ich das Angebot, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass meine Taten den Namen bestimmen würden, den mir die Maori geben würden. Ich wusste nicht, was das Wort für Baumeister war, doch so genannt zu werden, schien mir erstrebenswert.
Ich folgte also dem Baumeister zu der Baustelle, wo er mich damit betraute, Holzbalken, die später von den Schnitzern bearbeitet werden würden, mit einer Art riesigem Schälmesser von der Rinde zu befreien. Die Arbeit war hart, aber da ich dergleichen von meiner Zeit als Seemann gewöhnt war, scheute ich sie nicht, und nach einer Weile machte sie mir auch Spaß. Nicht nur, weil einmal am Tag Frauen erschienen, die uns etwas zu essen brachten. Doch genau das sollte mein Leben in den kommenden Wochen noch einmal grundlegend verändern.
Schon am ersten Tag fiel ich aus allen Wolken, als ich sah, wer sich unter den Mädchen befand, die uns die Speisen brachten. Auch wenn ihre Kameradinnen ebenfalls sehr hübsch waren, stach sie durch ihre Schönheit hervor wie eine Lilie aus grünem Gras. Sie zu betrachten hätte mich beinahe ein paar Finger gekostet, denn die Eisen, mit denen ich das Holz bearbeiten musste, waren sehr scharf. Als sie dann auch noch meinen Blick erwiderte und lächelte, war es um mich geschehen. Auch wenn es unmöglich schien: Ich wusste, dass ich kein anderes Mädchen zur Braut wollte als sie.
Weiterhin trafen wir uns beinahe täglich bei dem Steinkreis, und glücklicherweise entschloss sie sich, von nun an keine Distanz mehr zu wahren. Mit einer Forschheit, die ich bei einem so zarten Geschöpf wie ihr nicht erwartet hätte, trat sie auf mich zu und nahm meine Hand.
Nur knapp konnte ich mich auf den Beinen halten, und wahrscheinlich blamierte ich mich bis auf die Knochen, indem ich panisch gegen die sich anschleichende Ohnmacht anatmete. Wie lange hatte ich von diesem Augenblick geträumt?
Aus unseren ersten Annäherungsversuchen wurde schließlich tiefe Zuneigung und Liebe, zunächst im Geheimen, denn Ahani, so lautete ihr Name, war bereits einem Mann aus einem anderen Dorf versprochen. Wie ich erfahren sollte, wurden auch bei den Maori politische Bündnisse durch Heiraten geschlossen.
Das machte mich so krank, dass Aperahama zu erfahren verlangte, was mit mir los
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