Der Rote Mond Von Kaikoura
versteckt, wesentlich interessanter. Warst du schon oben?«
Lillian schüttelte den Kopf, während sie erneut Pfannkuchenteig in die Pfanne fließen ließ. »Nein, aber ich habe mir die anderen Räume angesehen. Und ich ahne schon, welches Zimmer du als dein Studierzimmer in Anspruch nehmen wirst. Eines mit Blick auf die Berge.«
»Aber die Berge sind, wie du weißt …«
»… die Feinde des Astronomen. Dennoch gibt es von dort aus den besten Blick auf den Himmel. Außerdem wirst du deine hauptsächlichen Beobachtungen wohl eher von der Sternwarte aus führen, nicht wahr?«
»In der Tat. Also gut, ich bin gespannt, welches Zimmer du für mich ausgesucht hast. Aber vorher lasse ich mir den Pfannkuchen schmecken. Immerhin, Mrs Peters hat dir Eier geliehen.«
»Ebenso wie das Mehl. Sie war wirklich sehr hilfsbereit, nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte.« Großvater und Enkelin sahen einander an, dann brachen sie in Gelächter aus.
»Sag mal, Großvater, weißt du, was das Wort tohunga bedeutet?«, fragte Lillian, nachdem sie ihre Mahlzeit beendet hatten.
Georg legte seine Gabel beiseite und sah sie verwundert an. »Wie kommst du auf dieses Wort?«
»Ich … ich habe es gehört.« Sollte sie ihrem Großvater das Geschenk zeigen?
»Hat Mrs Peters davon gesprochen?«
»Nein«, antwortete Lillian ehrlicherweise, dann erhob sie sich. »Warte einen Moment, ich komme gleich wieder.«
Während Georgs erstaunter Blick ihr folgte, ging Lillian in ihre Kammer und holte die Flöte aus der Ta s c he.
»Das hier hat mir der Kutscher geschenkt, bevor er wieder abgefahren ist«, sagte sie, als sie in die Küche zurückkehrte.
Als sie ihrem Großvater die kleine Flöte auf die Hand legte, verfinsterte sich seine Miene, aber jetzt war es zu spät, um einen Rückzieher zu machen. »Der Kutscher überreichte mir die Flöte mit den Worten, dass ich die Augen einer tohunga hätte. Ich habe mir schon die ganze Zeit über den Kopf zerbrochen, was das bedeuten könnte. Immerhin hat er keine grimmige Miene dabei gezogen, sondern mich beinahe ehrfurchtsvoll angesehen.«
Georg drehte die Flöte in der Hand, sagte aber noch immer nichts. Hinter seiner Stirn schien ein Wirbelsturm zu toben.
»Großvater?« Auf Lillians Händen bildete sich kalter Schweiß. Bedeutete die Flöte doch etwas Schlechtes? »Wenn du möchtest, verbrenne ich sie, dann kann sie kein Unheil anrichten.«
»Nein, nein, verbrenn sie nicht«, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. »Der Kutscher hat es sicher nur gut gemeint.«
»Meinst du?«
»Die Flöte ist doch wunderhübsch, nicht wahr?«
Lillian nickte. »Ja, das ist sie. Ich habe noch nie eine derartige Schnitzarbeit gesehen.«
»Die Maori sind Meister im Schnitzen.« Georgs Miene erhellte sich nun wieder ein bisschen. »Wenn du mal in eines ihrer maraes kommst, werden dir wahrscheinlich die Augen übergehen. Das hier ist nur eine kleine Fingerübung, die unser Kutscher wohl aus Langeweile gefertigt hat und nicht wegwerfen wollte.«
»Und was bedeutet nun das Wort tohunga? «, fragte Lillian, bei der sich noch immer nicht so recht Erleichterung einstellen wollte.
»Oh, dieses Wort kann viele Bedeutungen haben«, entgegnete Georg, während er seiner Enkelin die Flöte zurückgab. »Es kommt immer auf den Zusatz an. Meist werden die Schamanen oder Heilerinnen so genannt, aber diese Bezeichnung gilt auch für Baumeister oder andere hervorragende Meister eines Handwerks. Vielleicht hat er ja mitbekommen, dass du gern in die Sterne schaust, in dem Fall würde tohunga auch so etwas wie Forscherin heißen.«
»Wirklich?«
»He, ich bin derjenige, der schon mal hier war, hast du das vergessen?«
»Natürlich nicht, Großvater«, entgegnete Lillian und spürte, dass sich der Knoten in ihrem Magen ein wenig löste. Ihr Großvater hatte sie noch nie angelogen. Auch wenn er beunruhigt wirkte, er würde ihr nicht die Unwahrheit sagen, das gehörte zu seinen Prinzipien.
Doch was war es, das noch immer wie ein Schatten hinter seinen Augen stand? Hatte es damals, in seiner Zeit in Neuseeland, einen Vorfall gegeben, an den er sich erinnerte? Seine Erzählungen aus seiner Jugendzeit waren ohnehin sehr dürftig, besonders, was seine Zeit auf See betraf.
»Bewahr die Flöte gut auf, vielleicht wird sie dir eines Tages von Nutzen sein.« Sanft legte sich die Hand ihres Großvaters auf ihren Arm. »Und wer weiß, möglicherweise entdeckst du doch noch dein musikalisches Talent.«
Am Abend stand
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