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Der Rote Mond Von Kaikoura

Der Rote Mond Von Kaikoura

Titel: Der Rote Mond Von Kaikoura Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Laureen
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Muttonbirds ausgerufen worden war, kehrten sie nicht nach Hause zurück.
    Vielleicht feiern sie aber auch ein Fest, dachte Henare, während er sein Pferd ein wenig schneller laufen ließ. Ohne dass er sich dagegen wehren konnte, flammte ein Bild aus seiner Kindheit vor seinem geistigen Auge auf.
    Es war das erste Mal gewesen, dass ihn sein Vater mitgenommen hatte, um der Zeremonie des Neujahrsfestes beizuwohnen. Das Siebengestirn, um das sich viele Geschichten seines Volkes drehten, hatte er am Himmel schon etliche Male gesehen, doch seinen ersten Aufgang im Jahreslauf hatte er bisher noch nicht sehen dürfen, denn die kleineren Kinder hatten im Dorf bleiben müssen.
    So stand er neben seinem Vater unter dem Klang der Muschelhörner, betrachtete den Himmel und die Sterne, die mit zunehmender Dunkelheit weiter an Glanz gewannen, und in dem Augenblick hätte er sich nichts Besseres vorstellen können, als eines Tages ebenfalls den Federmantel zu tragen, der auf den Schultern seines Vaters lag.
    Doch mit der Zeit war er ein anderer geworden. Er hatte erkannt, dass es Möglichkeiten gab, die ihm verwehrt bleiben würden, wenn er im Dorf blieb. Da sich sein Vater strikt dagegen aussprach, dass er in der Stadt einem Beruf der pakeha nachging, hatte er sich vom Dorf abgewandt und war fortgegangen. Bisher hatte er die Richtigkeit seiner Entscheidung nicht infrage gestellt, doch jetzt, beim Klang der Muschelhörner, fragte er sich, ob es wirklich gut gewesen war, zu gehen.
    Natürlich war es gut, schaltete sich sein Verstand schließlich wieder ein. Du bist Assistent eines angesehenen Wissenschaftlers und hast die Aussicht, eines Tages deine eigenen Arbeiten zu veröffentlichen. Und wenn du deine Sache gut machst, wirst du vielleicht auch auf der Sternwarte arbeiten dürfen. Das hättest du nicht geschafft, wenn du in deinem Dorf geblieben wärst …
    Als er den Wald hinter sich ließ und wieder auf freie Straße kam, waren die Klänge des Muschelhorns verschwunden. Henare schnalzte mit der Zunge, um sein Pferd weiter anzutreiben, und war sicher, dass er schon morgen gegen Mittag wieder in Blenheim ankommen würde.

8
    Am Ende der hektischen Woche, die mit dem Auspacken der Kisten und dem Schleppen von Folianten und Büchern angefüllt war, machte sich Lillian an die Vorbereitungen für die Teatime mit Mrs Peters. Daran, wie diese Teestunden in England aussahen, erinnerte sie sich noch sehr gut von den Besuchen ihres Großvaters bei englischen Kollegen. Sie buk einen englischen Teekuchen und bereitete Sandwiches vor. In ihren Umzugskisten fand sie noch eine Tüte Darjeeling.
    Das alles tischte sie der ein wenig schüchtern am Tisch Platz nehmenden Nachbarin auf.
    »Das ist ja eine ganz wunderbare Teetafel«, bemerkte Mrs Peters erstaunt. »Dafür, dass Sie aus Deutschland kommen, wissen Sie erstaunlich gut Bescheid.«
    »Vielen Dank, das ist sehr freundlich von Ihnen«, entgegnete Lillian erleichtert. »Wir waren oft in England, da habe ich mir ein paar Dinge abgeschaut.«
    Sie tauschte einen verschwörerischen Blick mit ihrem Großvater, der sich auf den Stuhl neben Mrs Peters niedergelassen hatte. Georg lächelte ihr aufmunternd zu.
    »Wie lange leben Sie eigentlich schon in Kaikoura?«, erkundigte sich Lillian, nachdem sie eingeschenkt hatte.
    Mrs Peters versenkte ihren Blick kurz in die Teetasse, als würde sie dort ein Bild aus längst vergangener Zeit sehen, dann antwortete sie: »Schon seit gut vierzig Jahren. Als meine Eltern mit mir hergezogen sind, war ich zwölf. Ich war furchtbar traurig, dass ich England verlassen musst. Aber ich habe mich schnell eingelebt, und wie Sie sehen, bin ich immer noch hier.«
    Lillian entging nicht die leichte Bitterkeit in der Stimme der anderen Frau. Ob das mit ihrem Mann zusammenhing?
    »Ich habe meinen Paul hier kennengelernt und eigentlich nie das Verlangen gehabt, fortzugehen. Aber mittlerweile denke ich manchmal darüber nach. Immerhin bin ich hier ganz allein und werde nicht jünger. Vielleicht sollte ich zu meiner Tochter ziehen.«
    »Das würde sie bestimmt freuen.«
    Mrs Peters lächelte traurig. »Das mag sein, aber meinem Schwiergersohn würde es sicher nicht gefallen. Als mein Mann noch lebte, war das anders, aber irgendwie befürchtet er nun wohl, dass ich ihm zur Last fallen würde.«
    »Das glaube ich nicht«, entgegnete Lillian. »So eine patente Frau wie Sie wäre für ihn doch sicher ein Gewinn.«
    Mrs Peters zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. »Ich weiß

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