Der Rote Mond Von Kaikoura
anderen Ende des Gartenzauns Mrs Peters, die zu ihnen hinüberblickte, sich aber schnell umwandte, als sie sich ertappt fühlte.
»Sie ist nur neugierig und fragt sich sicher, wo du deine Sternwarte errichten willst:« Lillian hakte sich bei ihm ein. »Vielleicht glaubt sie ja, dass du sie hier hinter dem Haus baust.«
Georg seufzte. »Hoffentlich gibt es irgendwann einmal eine Zeit, in der die Menschen den Nutzen unserer Wissenschaft erkennen.«
In der Küche angekommen, hing Georg regelrecht an den geschriebenen Zeilen, las sie wieder und wieder.
»Und, was schreibt er?«, fragte Lillian ungeduldig.
»Dass er sich sehr freut, dass wir heil angekommen sind, und dass er uns besuchen möchte. Kommenden Freitag.«
»Oh, dann sollte ich mir wohl überlegen, was ich auf den Tisch bringe. Die Krabben waren doch sehr gut, oder?«
»Ja, die sollte es unbedingt geben, wenn er kommt. Und hier steht auch noch, dass er eine Exkursion durch den Busch mit mir unternehmen will. Damit ich mir das Land ansehen kann, das er tauschen möchte.«
»Schreibt er denn auch, wer dieser Freund ist, der bereit ist, das Land zu tauschen?«
»Nein, das hat er mir bisher nicht verraten, aber ich schätze, das steht im nächsten Brief.«
Hastig riss er ihn auf, schüttelte nach gründlichem Lesen allerdings den Kopf. »Nein, auch hier kein Name. Dafür lädt er mich zu einer Exkursion durch das Maori-Land ein.«
»Das Maori-Land?«, wiederholte Lillian erschrocken.
»Das Gebiet, das die Maori als ihr Eigentum ansehen. Du musst wissen, dass sie das Land, das sie den Weißen überlassen haben, nur als geliehen ansehen. Besonders in der ersten Zeit nach dem Vertragsschluss von Waitangi hat es darüber sehr viele Missverständnisse gegeben. Die Farmer sahen das Land als ihres an und vertrieben die Maori, wenn sie darüber hinweggingen, fischen oder jagen wollten. Nicht selten kam es zu blutigen Auseinandersetzungen, aber mittlerweile haben sich die meisten Farmer mit den Maori verständigt und behelligen sie nicht mehr, wenn sie sich auf ihrem Weideland blicken lassen.«
»Dann brauche ich also nicht zu befürchten, dass du angegriffen wirst?«
Georg lachte auf. »Natürlich nicht, mein Kind! Vergiss bitte nicht, dass ich schon einmal hier war. Hier mag sich viel verändert haben, aber wie ich mich in der Wildnis zu bewegen habe, weiß ich noch heute.«
Das Lachen auf seinem Gesicht erstarb, als der den Brief wieder zusammenfaltete und in seine Westentasche schob. Ein Moment des Schweigens entstand.
»Möchtest du etwas Kuchen und einen Kaffee?«, fragte Lillian, doch ihr Großvater schüttelte den Kopf.
»Nein, lass nur, Kind, ich werde mich ein wenig in mein Arbeitszimmer zurückziehen und mir alte Karten ansehen.«
Am Nachmittag fand sie sich wie verabredet im Laden von Mr Carson ein. Da sie bisher noch nicht hier gewesen war, hatte sie geglaubt, Samanthas Vater würde einen Laden für Lebensmittel betreiben. Umso erstaunter war sie, als sie bemerkte, dass der Laden zwei Etagen hatte und alles Mögliche verkaufte, vom Anisplätzchen bis hin zur Zackenlitze zum Verzieren von Kleidern. Etwas Ähnliches hatte sie in Köln in einem der Kaufhäuser gesehen; in dieser Gegend hatte sie dergleichen aber nicht erwartet.
»Lillian!«, ertönte eine Stimme von der Treppe. Als sie sich umwandte, kam Samantha ihr bereits mit langen Schritten entgegen. »Schön, dass du da bist!«
Ehe Lillian etwas entgegnen konnte, fiel Samantha ihr bereits um den Hals, dann nahm sie sie bei der Hand. »Komm mit, die Schneiderin ist schon da.«
»Aber …« Lillian stoppte abrupt. »Ich werde mir ein eigens genähtes Kleid kaum leisten können.«
»Ich bin sicher, dass Mrs Billings dir einen kleinen Rabatt gewähren wird. Du kannst dir ihre Kleider doch wenigstens mal ansehen.«
Gegen das Ansehen war nichts einzuwenden, trotzdem hatte Lillian ein schales Gefühl, als sie Samantha die Treppe hinauf folgte. Was mache ich hier?, fragte sie sich. Das hier ist nicht meine Welt. Kleideranproben hätten eher Adele großen Spaß gemacht. Schon damals in Köln hatte Lillian sich nur selten ein neues Kleid kaufen können – und wenn, dann ein fertiges, in das sie hineinpasste, kein maßgeschneidertes.
Doch wahrscheinlich würde Samantha nicht eher Ruhe geben, bis sie die Kleider anprobiert hatte. Also fügte sich Lillian in ihr Schicksal und folgte Samantha in die zweite Etage, in der die Familie Carson ihre Wohnräume hatte.
Erstaunt von so viel Pracht, musste
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