Der rote Salon
geregelt.«
Ich setzte diesen Grandeville auf die Liste der zu Befragenden.
»Und Sie? Was werden Sie jetzt tun?«
Bonneheure lachte wegwerfend und zuckte die Achseln.
»Was liegt noch daran?«
Ich schüttelte missbilligend den Kopf darüber, dass er sich so gehen ließ, und wandte mich an den Diener, der nur auf eine Frage meinerseits zu warten schien.
»Groth, Johann August, Madame! Karl ist mein Dienername. Ich habe noch dem Enkel des ersten Hausbesitzers gedient.«
Der Erhängte fiel mir ein. Eine alte Dienerfamilie, wie es schien. Etwas beklommen schaute ich ihn an, und er lächelte.
»Ich bin meinem Urgroßvater nach seinem Tod wohl begegnet … indes kaum jemals so, wie es einigen Gästen desHauses im Laufe des Jahrhunderts angeblich widerfahren ist. Er ist für gewöhnlich ein ruhiger Geist …«
»Mit Monsieur Groth schwindet die Seele des alten Palais«, sagte die Hausherrin. Sie schien ganz und gar nicht unglücklich darüber zu sein, dass der Nachkomme des Hausgeistes endlich den Abschied nahm.
»Wie kam Ihr Urgroßvater zu Tode?«, erkundigte ich mich. Der alte Mann antwortete sachlich. Die Hausherrin schüttelte den Kopf dazu, als wüsste sie es besser.
»Der alte Uriel, Gott hab ihn endlich selig, starb bei einem Unfall. Die Leiter brach weg, als er die Kerzen auf dem obersten Kranz auswechselte – eine Verrichtung, die ich keinem Mann über siebzig anrate, wenn er nicht mehr standfest ist. Er kippte zur Seite, der Leuchterarm fasste ihn direkt unterm Kinn, sodass er wie in einer Schlinge hing. Uriel wog hundertachtzig Pfund, das reichte dreimal zum Erdrosseln.«
»Der Leuchter ist gut verankert«, schloss ich. Wir blickten nach oben, und es war mir kurz, als sähe ich die leblose Gestalt des alten Dieners im Dämmerlicht baumeln.
»Ich denke«, fügte Beatrice de Grève hinzu, »wir können die Zeugnisse so vieler hochgestellter Personen kaum ignorieren. Auch ich habe Uriels Handklammer um meinen Hals gespürt, als ich, in Vorbereitung meines letzten Konzertes, ganz allein unterm Leuchter im Raume stand …«
»Sie waren wohl erkältet, Madame!«, bemerkte Bonneheure. Er hustete umgehend und machte ein Gesicht wie siebzig Tage Regenwetter.
»Nein, nein, mein Lieber: Es war der eiserne Griff des unruhigen Geistes! Sorge Gott dafür, dass wir glücklich sterben und mit den Ersten über den Jordan kommen!«
»Ich kann damit noch etwas warten!«, sagte ich, doch es lachte keiner.
Wir gingen in den großen Saal, den ich innerlich bei mir bereits den roten Salon nannte. Ich fragte Karl, der sein Gepäck neben den Kamin gestellt hatte:
»Gab es Einladungen zu einer Soirée am Sonntag, für die Nacht vom Achten auf den Neunten also?«
»Bedaure sehr, Ihnen mitteilen zu müssen, dass es keine Einladungen für den fraglichen Anlass gab! Nein, durchaus nicht! Ich habe zumindest keine überbracht. Ich weiß nichts über die Nacht, denn auch mir hatte der gnädige Herr freigegeben.«
»Geschah das oft?«
»Pardon, Madame?«
»Dass er Ihnen freigab, wenn eine Soirée stattfand?«
»Ich weiß rein gar nichts von Soiréen dieser Art. Ich hatte jeden dritten Sonntag des Abends frei.«
»Hatten Sie keine Lust, herauszufinden, was da vor sich ging?«
Mit unbewegter Miene erwiderte er:
»Es ist eine der größten Unarten beim Gesinde, dass es an den Türen horcht. Oder durch Löcher späht. Da sei Gott bevor! So etwas würde ich niemals tun. Wie sollte ich von einer Sache erfahren, die mich nichts anzugehen hatte?«
»Gott sei auch vor dem Falschzeugnisreden!«
Groth reagierte nicht auf diesen Warnschuss vor den christlichen Bug.
»Und Sie haben keine Erklärung für diese Freizügigkeit Ihres gewesenen Herrn? Hatten keinen Verdacht?«
Er schüttelte ebenso gravitätisch wie endgültig den Kopf.
Ein Segen, dachte ich, dass es noch Diener vom alten Schlag gab. Ein Jammer hingegen, dass Mâconnais-Rambouillon einen solchen beschäftigt hatte.
»Was ist mit dem Parkett passiert?«, fragte ich ganz beiher und deutete auf die Schadstelle am Boden, unweit vomKamin.
Kamin
war ein fast zu unscheinbares Wort für diesen Felsen rechts der Eingangstür. Ein Spiegel hing darüber, der fast bis zur Decke reichte. Man hätte in diesem Saal Greifvögel frei kreisen lassen können. Auf der anderen Seite der Eingangstür, in der gegenüberliegenden Ecke, stand ein Kachelofen, giftgrün und dickbauchig wie ein Hochofen.
Karl antwortete mit der Eifrigkeit des reumütigen Dieners:
»Zweifellos eine schwere
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