Der rote Salon
fern, Sie könnten mir eventuell einen Rat geben, an wen ich mich etwa zu wenden hätte? Unzweifelhaft hatte der Comte de Mâconnais-Rambouillon ein bedeutendes Legat von meiner Freundin zu erwarten, für den Fall ihres plötzlichen Ablebens. Da nun beide … so wird wohl alles seinem Bruder zufallen, der es sicher gebrauchen kann, um seine Verhältnisse zu sanieren.«
Waren es zu viele Schüsse ins Blaue? Ich fürchtete es. Auch dass ich mich durch irgendein Wort als Betrügerin entlarvt hatte. Plötzlich bezweifelte ich stark, auf diesem Wege irgendetwas zu erfahren.
»Das würde ein völlig neues Licht … Der Bruder … Kriegsheld und Überläufer … ist verschollen. In die Mühlen des Wohlfahrtsausschusses geraten? Es gibt zwar eine Verfügung, aber als Erbe ist die französische Krone eingesetzt. Dabei sind nur ein paar Bücher und Möbel vorhanden. Die werden nun der Einfachheit halber der Vermieterin als Abstand für alle Ungelegenheiten des plötzlichen Leerstands überlassen. Eine Vermehrung der Erbmasse … äh … wäre sehr spaßig, denn man müsste sie wohl an den Pariser Jakobinerclub abführen … als den Rechtsnachfolger der Krone, nicht wahr? Ich könnte allerdings vorher endlich ein Honorar abziehen! Der Comte hatte mehr Schulden als die Bank von Frankreich!«
Ein landläufiger Scherz, denn diese Bank gab es nicht mehr, wenn es sie denn überhaupt je gegeben hatte … Kein Bruder, der erbte? Kein Erbe überhaupt? Grandeville schien sich königlich zu amüsieren und fragte nun seinerseits:
»Darf ich fragen, Madame … äh … Granget, wie sich Ihre Freundin nannte?«
»Sie wählte ein adliges Pseudonym, obwohl ich ihr davon abriet: Anne de Pouquet!«
Seine Miene verschloss sich.
»Nun … also … so! Nun, dann … nun. Ich versichere Ihnen, dass sie nicht zu meinen Klienten gehörte! Sicher gab es keine Verfügung von ihrer Seite, denn ich hätte davon Kenntnis erlangt. Wenn sie einen Syndikus eingeschaltet hätte, so würde er sich mit mir in Verbindung gesetzt haben. Spekulative Fragen interessieren mich als Juristen kaum, und ich fürchte, ich fürchte …«
Was er fürchtete, über die Tatsache hinaus, dass er mir nichts würde sagen können, behielt er für sich.
Ich stand wieder auf dem Oktogon und fühlte auf schmerzliche Weise meinen zwar nicht absoluten, aber doch sehrrelativen Misserfolg. Immerhin wusste ich nun, dass der Comte über Humor verfügt hatte. Anders war es nicht zu erklären, dass er nichts besaß und es trotzdem dem guillotinierten König vererbte … Es
musste
aber doch etwas dagewesen sein, sonst hätte er nicht diesen Aufwand treiben können … Waren seine Mittel gerade aufgebraucht, als der Mord geschah?
In der Mohrenstraße erwartete mich eine Überraschung. Nein, ich will nicht mehr das Wort vom alten Bekannten bemühen. Ich hasse Wiederholungen! Auch wäre die Wendung im Falle des Herrn, der mir damals nach fünfzehn Jahren wieder über den Weg lief, nicht ganz die richtige. Als mir Marthe eröffnete, dass der Doktor Heim im Wohn- und Arbeitsatelier säße, beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich sah mich für Sekunden wieder neben dem jungen drahtigen Mann von einst die Sandkuppe des Tempelhofer Berges erklimmen, sah mich mit dem jungen Doktor über Land fahren, Grabsteine von Templern ausfindig machen und zu nächtlicher Stunde Leichen inspizieren …
Ernst Ludwig Heim war inzwischen der landauf, landab gefeierte Armenarzt, der in seinem Haus Kronenstraße/ Ecke Markgrafenstraße jeden behandelte, gegen Honorar oder umsonst. Zugleich war er der Leibarzt der königlichen Familie. Nun, kurzum: Dieser Herr wäre einmal fast mein Lebensgefährte geworden. Widrige Seelenzustände und beiderseitige Jugend hatten einer tieferen Verbindung entgegengewirkt.
Jetzt vernahm ich das Lachen Jérômes und Heims unverkennbaren Tonfall. Er erzählte sein berühmtestes Abenteuer: die Besteigung des Münsters in Straßburg 1775. Schinkel hat ihn mit wehendem Schnupftuch auf dem steinernen Kreuz auf der Turmspitze sitzend in das Ölgemälde derSophie Elisabeth Lautier gemalt, oder war es Caspar David Friedrich?
Nein, doch Schinkel! Ja, gewiss war es Schinkel! Heim hat mir das Bild erst vor ein paar Wochen gezeigt! Die Malerin schickte es ihm letztes Jahr.
In jenem Dezember nun trug er einen Biberpelzmantel und einen feinen mausgrauen Tuchrock. Richtig feist im Gesicht war er geworden und hatte etliche Pfunde mehr auf den Rippen als früher.
»Madame, wie freue ich
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