Der rote Salon
zusätzlichbeschweren können. Diese hier hat keinen sehr hohen Fuß. Es gibt welche, bei denen er doppelt so hoch ist.«
Er griff einige Akkorde, und ich war verzaubert von dem himmlischen Tongewebe.
»Was Ihre Freundin Anne de Pouquet in ihrer freien Zeit getrieben hat? Einen Liebhaber scheint sie gehabt zu haben, der sie gehörig traktierte. Sie kam hier morgens oft mit ziemlichen Schatten unter den Augen rein …«
»Sie haben ihn nicht etwa gesehen, diesen Liebhaber? Sie wohnte doch hier im Haus?«
»Im rechten Hinterhaus. Nein, ich habe sie nicht überwacht. Ich bin kein Spitzel. Meine Mieter können machen, was sie wollen, wenn sie nur den Mietzins zahlen.«
»Beschäftigen Sie noch andere Hilfen?«
»Nur Anselm, den Hasenknecht! Stallhasen sind mein Zubrot – auch wenn Berlin allseits
der Harfen Kapitale
heißt, muss das Kapital doch noch von anderswoher kommen …«
Er grinste verschlagen und rieb sich die vielfach begabten Hände. Mieter, Hasen und Harfen, dachte ich – manchmal beliebte es dem höchsten Wesen zu scherzen.
Einen Augenblick schien er ernst und nachdenklich. Dann war er wieder bei seinen Harfen, und seine Miene hellte sich auf. Er hatte eine zerlegte Pedalharfe auf einem Tisch ausgebreitet und reinigte behutsam die Mechanik mit einem Pinsel. Klemmen waren angebracht, wo kleine Nussbaumfurnierstücke eingesetzt waren.
»Anne de Pouquet spielte, wenn Kundschaft anwesend war.«
»Wie viele Harfen gibt es in Berlin, was meinen Sie?«
Jetzt musste er lachen.
»Na, Sie können Fragen stellen! Zweihundert? Sechshundert? Tausend? Ich wollte, ich hätte alle Harfenbesitzer alsKunden, dann könnte ich es Ihnen ganz genau sagen. Viele Instrumente stehen leider herum und verstauben.«
»Und wie viele Kunden kommen regelmäßig? Und was kaufen Sie?«
Er musterte mich skeptisch. Dann lächelte er und schüttelte den Kopf.
»Warum wollen Sie das alles wissen?«
»Ich interessiere mich für Anne de Pouquets Hinterlassenschaft. Sie war eine recht gute Bekannte, doch ich habe traurigerweise keine Erinnerung an sie zurückbehalten. Ein Zustand, der mich bedrückt und den ich zu ändern wünsche.« »Sie wissen, wo man Ihre Freundin gefunden hat?«
Meinte er diese Frage ernst?
»Selbstverständlich, es stand ja in der Zeitung! Bei einer Ihrer Kundinnen … der prominentesten Harfenistin Berlins, möchte ich behaupten, denn ich kenne sie aus Paris!«
Er war blass wie eine Leiche und ließ den Pinsel sinken.
»Beatrice de Grève? Aus Paris .. . Gehörten Sie auch zu ihrem … Kreis?«
Schwer zu entscheiden, ob das echt war. Ebenso unentscheidbar, was ihn mehr beunruhigte: dass ich auf Beatrice de Grève zu sprechen kam oder auf die Hauptstadt der Revolution.
Ich war versucht, ihn auf die Probe zu stellen und die Schulterharfen zu erwähnen. Doch ich unterließ es und konterte ebenso vorsichtig:
»Von welchem Kreis sprechen Sie? Es gab so viele Zirkel in Paris. Beatrice de Grève war mit der Herzogin von Argenteuille befreundet, die ihrerseits …«
»Ach ja, ich schloss schon aus ihren spärlichen Worten, dass sie in Paris einen Kreis unterhielt, zu dem gar die Königin gehört haben soll … Sie könnten ebenfalls dort bei ihr gewesen sein …«
»Bedaure. Betreibt sie denn hier einen? Einen musikalischen Zirkel?«
Er zögerte. Dann sagte er leise:
»Sie schart brotlose Musiker im Haus um sich, das kann man ja nicht übersehen. Und wo immer mehrere davon auf einem Fleck sind, bilden sie ein Orchester. Sie veranstaltet ab und an Konzerte im alten Palais.«
»Zu dumm, dass ich nie davon erfuhr.«
Göttler dämpfte die Stimme, obwohl wir allein waren, und raunte im Angst-vor-der-Polizei-Ton:
»Zusammenkünfte in der Friedrichstadt stehen unter besonderer Beobachtung, seit die Franzosen bevorzugt hierher flüchten. Und sie fürchtet die Polizei im Haus auch wegen der Baubehörde. Das Haus ist einsturzgefährdet.«
Ob Distel & Co. mutmaßten, dass die de Grève einen heimlichen Jakobinerclub betrieb? Das wäre sehr töricht zu glauben. Sie war doch Royalisin durch und durch.
»Wann war das letzte Konzert?«
»Es liegt schon ein paar Wochen zurück.«
»War Anne de Pouquet auch bei diesem Konzert?«
Er nickte.
»Sie spielte die zweite Harfe.«
Wie Beatrice de Grève gesagt hatte.
»Könnte ich bitte einen Blick in Anne de Pouquets Zimmer werfen? Ob ich etwas für mich finde?«
Er schaute mich durchtrieben an.
»Viel ist es nicht, doch ich werde das Bündel morgen zur Auktion
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