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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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mich! Sie sehen geradeheraus bildschön und gesund aus wie eine Flunder!«
    »Und Sie sehen steifpetrig aus wie ein Heilbutt!«, entgegnete ich.
    Heim lachte.
    »Madame, es ist eine kleine spaßige Reihenuntersuchung, die mich zu Ihnen führt. Ich soll einen Blick auf alle französischen Schultern werfen, die unlängst in Paris waren. Der eifrige neue Polizeichef sucht nach Indizien für eine staatsfeindliche Geheimorganisation oder so etwas. Das erzähle ich Ihnen, weil ich genau weiß, dass Sie es schon vermuten.«
    »Das ist nicht schwer. Distel hat sich zu einem Widerling gemausert! Heißt das nun, dass die beiden verhafteten Musiker unschuldig sind? Muss der Präfekt seinen Orden zurückgeben?«
    »Soweit ich weiß, weiß ich gar nichts …«, sagte er und lächelte. »Die beiden sind in Schutzhaft, denke ich. Und … Orden, die der König verliehen hat, nimmt er nur zurück, wenn sich der Träger unehrenhaft verhalten hat.«
    Schutzhaft? Vor wem? Das klang sehr dubios.
    »Kommen Sie, bringen wir es hinter uns.«
    Jérôme stand amüsiert daneben, während ich Heim die kalte Schulter zeigte, damit er das Nichtvorhandensein der Harfe zu Protokoll nehmen konnte.
    »Erinnern Sie sich an die Logengeschichte? An unsere gemeinsame Spurensuche?«, fragte ich, während ich meine Schultern wieder bedeckte.
    »Wie könnte ich das jemals vergessen? Wir waren jung und abenteuerlustig, doch wir waren brav. Viel zu brav, wie ich heute finde …«
    Wir lachten. Sie waren sich gar nicht so unähnlich, Heim und Jérôme … Im Grunde war ich meinem Männergeschmack treu geblieben.
    »Würden Sie uns am Sonnabend besuchen? Zum Diner? Ich würde zu gern wissen, wie viele Nichtharfen Sie zusammenkriegen.«
    »Mit dem allergrößten Vergnügen! Bislang gab es noch keine positiven Befunde. Ich muss allerdings vorsichtig vorgehen. Wir fingieren eine Pocken-Immunisierung, es ist eine Art Experiment.«
    Als er weg war, sahen wir uns ziemlich entgeistert an.
    »Wie ich vermutet habe: kein Korn, nur ein blindes Huhn!«, sagte Jérôme. Er meinte den Oberpolizisten.
    »Distel hat nicht gestochen. Nur ein bisschen gepiekt, zum Schein. Alle sollen denken, dass sie in Sicherheit sind.«
    »Auch der Mörder. Das ist vielleicht gar nicht so übel.«
    Die Tage waren angefüllt mit Zweifeln und Ungewissheiten. Ich glaubte nicht mehr, die Welt auch nur ein bisschen zu verstehen. Am meisten beunruhigte mich, dass ich um Anne de Pouquet trauerte und doch gar nicht wusste, wer sie in Wahrheit gewesen war. Ich baute verbissen an den Schreckenslaternen. Ich klebte Papierballone für Weihnachten. Mir fiel nichts ein.
    Eine Anzeige in der Ausgabe des
Journals
vom Donnerstag, dem Neunzehnten, beendete diesen unseligen Zustand:
Verkäuferin gesucht, Fertigkeit im Harfenspiel Voraussetzung.Gute Bezahlung. Instrumentenbauer Göttler, Rondellplatz 10.
Am Rondell also, diesem Kreis aus hohen Mietshäusern, in deren obersten Geschossen Soldaten wohnten, während Händler und Handwerker in Läden und Werkstätten die Parterres bevölkerten, musste ich meine Recherchen fortsetzen.
    Das dreigeschossige Haus mit der Harfenwerkstatt und dem großen Verkaufsraum im Parterre stand auf einem lang gestreckten Grundstück. Zwei Hinterhausseitenflügel schlossen sich an, gefolgt von einem großen Obstgarten, der fast bis zum Lazarett und dem Zollweg vorm Floßgraben reichte und jetzt in verschneiter Unbelebtheit dalag, wie ich sehen konnte, nachdem ich eine breite Toreinfahrt durchmessen hatte und hinters Haus getreten war.
    Ich traf Göttler bei der profanen Tätigkeit des Holzhackens neben einem von mehreren großen Schuppen. Die sehnigen Hände waren noch das Feinste an dem kräftigen Mann. Immer wieder staune ich über die Wandelbarkeit im Gebrauch dieser menschlichen Werkzeuge und über die Gefügigkeit des Holzes, das sich sowohl zum kantigen Scheit als auch zum glatten Instrument formen lässt.
    »Holz lebt und Holz stirbt!«, verkündete der vierschrötige Mann mit der herzerfrischenden Rohheit des Handwerkers und fügte hinzu: »Lassen Sie uns hineingehen!«
    Ich unterschätzte das Gewicht einer Konzertharfe bei Weitem. Damit sie sicher stand, musste der Fuß besonders schwer sein.
    »Wie funktioniert das? Gewichte? Da unten in der Lade?« Ich deutete fragend auf den hübschen Sockel, aus dem die Saiten heraussprossen.
    Göttler nickte und erklärte:
    »Achtzig Pfund wiegt ein Instrument! Dreißig sind im Fuß. Wenn die Harfe sicher stehen soll, muss man sie

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