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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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des Mondes Pracht
    über Wald und Schlosse wacht!
    Doch die allerschönste Nacht
    wird in Angst und Pein verbracht
,
    wenn sich, Wehe klagend sacht
,
    das Gespenst erhebt und lacht!
    Anna Luise Karsch, die Stegreifdichterin, die uns gegen kleine Münze Sinnsprüche für die Bildstreifen der Laternae magicae lieferte, wusste am Sonnabend zu berichten, dass René Ballé und Fréderic Bertrand, der Violinist und der Flötist aus dem Palais der Madame de Grève, in der Hausvogtei verhört und sofort in die Spandauer Feste verbracht worden waren. Todbringende Schlingen waren in ihren Instrumentenkästen gefunden worden. Allgemein atmete man auf nach diesem überraschenden Erfolg der königlichen Polizei. Der Polizeichef Distel wurde vom König empfangen und höchstpersönlich mit dem Orden Pour le Mérite dekoriert. So berichtete es die Dienstagsausgabe des
Journals
, die – wegen dieser Eilmeldung – doppelt verspätet kam …
    »Hätte ich ihm nicht zugetraut!«, sagte Jérôme.
    »Nun, man täuscht sich mitunter. Auch ein blindes Huhn … Du verstehst!«, sagte ich, und wir lächelten uns über ein paar Schreckenslaternen hinweg an.
    Dennoch fühlte ich meine Wissbegier mit diesen Neuigkeiten nicht befriedigt. Waren die Morde damit tatsächlich aufgeklärt? Die beiden lustigen Vögel als Mörder? Der eine groß, der andere klein, recht linkisch in meiner Erinnerung. Doch mitunter hatte sogar ich mich schon in Menschen getäuscht. Waren die beiden nur die klägliche Vorhut einer weitaus schrecklicheren Terrorwelle, die noch anbranden sollte? Ich wollte es zumindest nicht versäumen, den Syndicus Grandeville zu besuchen.
    Am gleichen Nachmittag noch stellte ich mich bei ihm ein. Ein hagerer, flinker Mann empfing mich am Oktogon im Massenbach’schen Haus. Grandevilles waches Gesicht strahlte eine Beweglichkeit aus, wie man sie bei Menschen selten antrifft, die ihr halbes Leben in geschlossenen Räumen zubringen. Damit kontrastierte eine diplomatische Sprechweise: gedehnt, jede Silbe erwägend, vorsichtig, ein wenig geneigt, jeden Satz in einige Paragraphen des neuen allgemeinen Preußischen Landrechts einzuwickeln.
    »Madame, ich bin geehrt! Von Ihren … hm … Apparaten spricht ganz Berlin: Wie viel kostet einer? Nun, aber in meinem Beruf … Ich sollte einmal eine Laterna magica bei der Verhandlung im Königlichen Collegienhaus … Keine üble Idee, zur Demonstration eines … Sachverhaltes, was meinen Sie? Was führt Sie zu mir?«
    »Eine Vertraute starb unlängst und ganz unerwartet. Sie stand mit einem Mann in näherer Verbindung, dessen Nachlassgeschäfte Sie regeln. Sein ehemaliger Sekretär, Christian Bonneheure, verwies mich an Sie.«
    »Hm … nun ja, Mâconnais-Rambouillon … Das … trifft zu, in der Tat, ja! Doch wie … kann ich … Ihnen behilflich …?«
    »Nun, es mag Ihnen seltsam erscheinen und entbehrt jeder Begründung, doch bestimmte Handlungen, das werden Sie als Jurist viel besser ausdrücken können als ich, geschehen gewissermaßen ohne zwingende, auf der Hand liegende …«
    »… Occasion?«, half er mir.
    »Sehr richtig.«
    »Nun …«
    »Ich komme, weil mir jene Freundin nicht allein Vertraute war … Es verhielt sich eigentlich genau entgegengesetzt. Ich war ihre … wie soll ich mich ausdrücken? Nun, Ihnen als einem verschwiegenen Mann, kann ich es ja eingestehen …«
    Ich machte, indem ich das Ganze noch etwas verklausulierte, meine indirekte Sache sehr gut, fand ich. Auch wenn es mir zugleich viel zu plump vorkam, was ich mir als billigen Vorwand zurechtgelegt hatte.
    »Seien Sie dessen gewiss, Madame, ganz … hm … dezidiert gewiss … es ist … oberste Prämisse in meinem …«
    »Beruf?«, assistierte ich. »Ich erwartete es, Monsieur. Ich erwartete es …«
    Eine letzte Pause, die mir sehr schwerfiel, die aber ihre Wirkung nicht verfehlte, wie ich an der blitzenden Neugier in seinen Augen ablesen konnte.
    »Sie hielt es im Zuge ihrer hohen Abkunft für geboten, ihren richtigen Namen zu verschweigen und ein Incognito zu verwenden.«
    Er sagte nichts, doch seine Pupillen weiteten sich.
    »Da ich um ihre Vorsicht wusste«, fuhr ich fort, »die sie allen Fragen angedeihen ließ, die ihre wahre Identität verraten konnten, so habe ich mich nie unterstanden, von ihr erfahren zu wollen, wem sie die heikle Sorge um ihre Nachlassgeschäfte übertragen hatte … Indessen, da ich zumindest weiß, wie nahe sie Mâconnais-Rambouillon stand, so liegt die Vermutung vielleicht nicht allzu

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