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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Varnhagen wird nur salzlose Lyrik rezitiert und Gebäck eingetaucht, bis es wie Nachmittagsklatsch im Munde zerfällt. Die einstige Jakobinerin in mir kann über diese modernen Berliner Teekätzchen nur müde lächeln. Im Salon der Madame Roland, der Condorcet und auch in dem der Justizministerin Dodun an der Place Vendôme – was wurde da gefochten und gekämpft! Gleichberechtigung – wie nahe waren wir daran, und wie fern sind Rahel und Consorten ihr heut!
    Es ist kein schlechter Gedanke, über jene Dinge zu schreiben, wenn ich es mir genauer überlege! Statt mich unentwegt nach Jérômes Rückkehr zu verzehren, werde ich mich beschäftigen und ins Reine bringen, was mir sonst bis ultimo als blutige Fahne durch den Kopf flattert. Man muss sich die Ungeheuer von der Seele rollen, sonst fressen sie einen auf. Ich komme nicht umhin, den Anfang noch einmal zu lesen. Wie sehr ist es nötig, sich immer wieder des Beginns zu vergewissern, bevor man fortschreitet!

1
    Ich kann an die folgenschweren Jahre, in denen wir in Paris, im Herzen der Revolution, lebten, nur mit Herzklopfen zurückdenken. Die Umwälzungen nach 1789 sind uns allen zu vertraut, um Worte darüber zu verlieren, auch wenn es keineswegs der Wahrheit entspricht, was die neuesten Werke über diesen Gegenstand mitteilen: dass man in den gebildeten Ständen in Deutschland stets auf der Höhe des Geschehens gewesen sei. Man verfolgte das Treiben eher durch ein umgedrehtes Fernrohr, wodurch alles in weite Distanz rückte.
    Die deutschen Gelehrten waren schon immer Stubenhocker. Nur wenige gingen nach Frankreich, um mit wachen Blicken zu beobachten, Pamphlete zu verfassen und sich in den Clubs die Köpfe heißzureden. Einer der Wenigen, die nicht nur sprachen und schrieben, sondern auch zur Tat schritten, war Georg Forster, und ich bin stolz, sagen zu können, dass ich den großen Mann ein Jahr vor seinem Tod als wahren Freund kennenlernte.
    Zwei Amerikamüde aus New York – so erreichten Jérôme und ich das revolutionäre Paris. Wir langten zu einem Zeitpunkt an, als Desmoulins vor dem Palais Royal schon
Zu den Waffen!
gerufen, der teuflische Marquis de Sade die Anstürmenden aus der Bastille heraus mit schmutzigen Lügen über Folter und Gefangenenmord zum Äußersten aufgestachelt und die elenden Pariser Frauen bereits ihren Triumphzug nach Versailles getan hatten. Wer will denGang einer Umwälzung kritisieren? Was soll ich sagen angesichts der zügellosen Gewalt, die das Land in den kommenden Jahren durcheilte und deren Zeugin ich ward? Die Bestialität ist nur zu verstehen, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Revolution ein Naturereignis war: der orgiastische Ausbruch des aufgestauten Hasses von schmählich Unterdrückten gegen ihre schamlosen Unterdrücker.
    Georg Forster, seinerzeit in Paris, riet uns, nach »Mayence« zu gehen, ins 1792 von den Franzosen eroberte Mainz, wo er mit anderen jakobinisch Gesinnten Anfang März eine Republik gegründet hatte, die der Konvent als eigenes Departement anerkannte. Auch jene Anne de Pouquet, scheu und fein – viel zu fein für diese Welt! –, kam mit uns. Ich wusste nichts über sie, aber wir waren, so schien es mir, sofort ein Herz und eine Seele.
    Die Offenheit der Menschen und ihre grenzenlose Fähigkeit zur spontanen Empathie, sobald eine Idee sie einte, ist ein Charakteristikum dieser Zeit und war trotz allem Übel etwas, das ich niemals vergessen werde. Anne de Pouquet hatte ein großes Faible für die Geisterbeschwörung und Geisterseherei, die damals sehr in Mode war, und sie hatte mit den Geistern über all jene gesprochen, welche damals die großen Töne spuckten: über Danton, Robespierre, Arrat und Hébert … Das, was die Geister ihr zur Antwort sagten, ihre weiß Gott nicht sehr hohe Meinung von diesen Herren, bestärkte sie in ihrem Entschluss, das Land umgehend zu verlassen, so erklärte sie mir. Wir hofften immer noch, dass der Terror bald vorüber wäre. Es war abzusehen, dass er bald jeden bedrohen konnte, der einer plötzlichen Laune des revolutionären Wohlfahrtsausschusses nicht entsprach. In Mainz aber wurden wir herb enttäuscht. Die Jakobiner glichen sich überall. Als von Bürgerinnen und Bürgern einEid auf das Blutregime in Paris gefordert wurde, verweigerten wir uns. Ich weiß noch, wie wir berieten, was zu tun wäre. Immerhin war etwa ein Viertel der Mainzer nicht mit dem Pariser Terror einverstanden. Mehrere Tausend Eidverweigerer, wir mitten unter ihnen, wurden

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