Der rote Salon
wiederholte:
»’s Geföööschel!«
Wir nahmen bewegten Abschied von meinem Vater, der uns Pässe und seinen Segen mit auf den Weg gab. Von dem verwunschenen Taunusstädtchen würden wir am nächsten Tag direkt weiterfahren nach Nordosten, denn es wäre keineswegs ratsam gewesen, die Einnahme von Mainz abzuwarten. Es war schon vorauszusehen, dass nach dem Fall der Feste die Straßen Richtung Westen von Militär und Gefangenentransporten verstopft sein würden.
Die Gastgeber, Landgraf Friedrich V. Ludwig von Hessen-Homburg und seine Gattin Caroline, hatten keine Mühegescheut, ihr kleines Schlösschen für den Besuch der königlichen Hoheiten und der Prinzessinnen herauszuputzen. Man nahm den Kaffee auf der schönen Terrasse rund um den Weißen Turm, von der man die blauen Berge der Taunus-Höhe zum Greifen nahe vor sich hatte. Anschließend fuhr die Festgesellschaft in kleinen, schnellen Kutschen durch eine kerzengerade Allee endlos weit, wie es uns schien – zur Meierei der Landgräfin, wo in einem verwunschenen Park mit See und Insel, der kleine Tannenwald genannt, getanzt und guter Wein getrunken wurde. Alles war traumhaft illuminiert, und es gefiel uns über die Maßen.
Anne de Pouquet und ich genossen das Glück, auf der Fahrt vom Schloss zum Ort der Redoute in der Kutsche der Prinzessinnen und der Landgräfin zu landen, wohingegen Goethe und Jérôme bei den Prinzen und dem Landgrafen saßen, wo sie sich weit weniger gut amüsierten. Der Prinz war wortkarg, und Goethe erging sich in Gemeinplätzen, berichtete mein Liebster mir später. Sie argwöhnten beide einen heimlichen Jakobiner in ihm. Und jede Schilderung der verabscheuenswürdigen Taten des Regimes wurde mit Blicken quittiert, die zu besagen schienen: Du bist an allem schuld! Der Ärmste, das war garstig.
Was soll ich sagen? Es waren keine hochgeistigen Gespräche, die Anne de Pouquet und ich mit den beiden glücklichen Mecklenburgerinnen führten … Unser Lachen schallte weit in den lichten Wald hinaus, der in der lauen Sommernacht balsamisch duftete. Luise und Rieke waren zwei einfache Mädchen, siebzehn und fünfzehn Jahre alt, die sich für all die Themen begeisterten, an denen Gleichaltrige Gefallen fanden: formschöne Halbschuhe, grüne Musselin-Chemisenkleider für festliche Anlässe mit Rotfuchs-Puffärmeln, Schärpen aus gelbem Seidentaft, violette Haarbänder, den symbolischen Gehalt von Schleifenformen,die Frage, ob dem Turban oder der Schleife der Vorzug zu geben sei, der Stola oder dem Schal, und ob man sich überhaupt entscheiden müsse, Rezepte für Süßspeisen, Schritte der neuen Tänze, Harfenspiel, kleine Hunde, Bowlenrezepte (Waldmeister mit weißem Rheinwein und viel Himbeersirup!) sowie letztlich die Frage, ob man beim Guillotiniertwerden noch nachdenke, wenn der Kopf schon im Korb läge, ob man den Himmel oder den Korb oder den Henker sehe … Dies von zwei Gören zu hören, denen beim Anblick von Blut schon schlecht würde, war für Anne und mich eine harte Probe.
Sie unterschieden sich im Naturell nicht so sehr, wie man sagte. Ich fand Luise keineswegs zurückhaltender oder etwa Friederike vulgär. Gickelnd erzählten uns die beiden, wie sie im Hof des Goethe’schen Elternhauses in Frankfurt zum ersten Mal in ihrem jungen Leben eigenhändig Wasser gepumpt hatten. Als sie hörten, dass wir lange in Paris gewesen waren, wollten sie alles über Marie Antoinette hören, und wir mussten gehörig improvisieren, denn wir waren der letzten Königin von Frankreich ja nie begegnet. Auch hier interessierten aber bloß die berühmte Schuhsammlung und die Schoßhündchen.
Das Plaudern setzte sich auch während des kleinen Festes fort, die ganze Nacht über, denn es wurde Walzer getanzt, bis die Sonne aufging und die Wasser des Teiches märchenhaft in den frühen Strahlen blinkten. Der Kronprinz genoss den Walzer, doch es war abzusehen, dass man seinem Vater davon berichten und ihn maßregeln würde, denn der Walzer galt, wie so vieles, was irgend schön ist, als frankophil, weil körpernah. Wenngleich die Schwestern beide von dem Prinzen Louis Ferdinand schwärmten, den sie vor Tagen zum ersten Mal gesehen hatten, so waren sie doch unsterblich in ihre zukünftigen Ehegatten verliebt.
Spät in der Nacht, in den Tanzpausen, kamen wir auf die Geistergeschichten, die vor allem Luise liebte. Sie kannte schier endlos viele davon, etliche aus dem Mecklenburgischen. Die meisten aber aus der Familiengeschichte der diversen
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