Der rote Salon
…«
»Sie könnten mir die Hintertüre öffnen und mir die Hausherrin vom Leib halten, falls sie im unrechten Moment auftaucht.«
»So etwas habe ich noch nie getan.«
»Es gibt für alles ein erstes Mal.«
Amadé de Paul lächelte wieder unbeholfen.
»Wann soll es geschehen?«
Mir fielen die Prinzessinnen ein. Wann genau sie wohl kämen? Nach der Kirche, sagten alle, um elf, zwölf vielleicht. Umso besser: Ganz Berlin stünde an der Straße. Kein normaler Mensch wäre in den Häusern. War ich normal? Legte ich Wert darauf, als normal zu gelten? Wollte ich nicht lieber normal sein und an der Straße Wimpel schwenken?
»Am Sonntag«, entschied ich und wehrte, als der Komponist die begehrten Noten gleich entführen wollte, sanft, aber bestimmt ab.
»Lassen Sie mir diese Sicherheit. Ich werde sie Ihnen mitbringen.«
Glücklich über diese Verzögerung schien de Paul nicht zu sein. Was war so besonders an den Musikalien? Wenn es seine eigenen Kompositionen waren, wollte er sie freilich wiederhaben. Das Gleiche galt für die Parry-Sammlung, da sie sicher einen gewissen Wert für seine Tonsetzerei hatte. Wenn beides Anne de Pouquet gehört und er ein Interesse an ihr hatte, war es ein sentimentaler Besitztrieb. Oder eswar etwas in den Bänden verborgen, das sich nicht auf den ersten Blick erschloss.
Ich setzte mich also, nachdem ich des Nachmittags noch eine mir horrend erscheinende Zahl von neun magischen Laternen zusammengesteckt, -genietet und -geklebt hatte, die am Abend schon ausgeliefert waren – was mein süßer kleiner Großneffe Theo besorgte –, an den freigeräumten Arbeitstisch und untersuchte die Bücher gründlich.
Was konnte an ihnen so geheimnisvoll sein? Im Parry sah ich absolut nichts Außergewöhnliches. Es lag kein Blatt darin, es war kein zusätzlicher Spiegel angeklebt. Die Innenkante hätte es verraten. Ich nahm eine Lupe zu Hilfe, doch das Ergebnis war eindeutig: nichts. Das fliegende Vorsatzblatt war weiß, das fliegende Blatt und der Schmutztitel ebenfalls. War etwas hinter den Buchrücken geschoben? Ich teilte den Buchblock und klappte die Hälften samt Deckel um, bog sie leicht nach hinten, um in die entstehende Höhlung zu blicken. Ich guckte in die Röhre. Auch beim vorsichtigen Stochern mit einem Holzstäbchen kam nichts heraus.
Mit der Liederhandschrift verfuhr ich genauso. Das Ergebnis war das gleiche. Nichts. Die Initialen … waren es Amadé de Pauls oder doch Anne de Pouquets? Sie waren eingestempelt. Das zeugte von einer größeren Büchersammlung, die Anne de Pouquet nicht hatte. Alles sprach für de Pauls Behauptung, das Buch gehöre ihm. Als ich das Blatt so aus der Nähe betrachtete, fiel von hinten Licht darauf. Ich sah deutlich einen dunklen Umriss. Ein Wasserzeichen? Ich hielt inne. Jemand hatte vorsichtig etwas mit dem Federmesser entfernt, so behutsam Faser um Faser des Papiers abgehoben, dass es bei oberflächlicher Betrachtung vollends sauber erschien. Anschließend hatte er die bearbeitete Stelle mit Daumennagel, Löffel oder Fischbeinmesser glattgestrichen. Man bemerkte keine Veränderung, wenn man es nicht im Gegenlicht betrachtete. So aber … Ich drehte und wendete den Bogen, um zu erkennen, was ausgelöscht worden war. Eine Krone? Nein, drei Lilien … außerdem – unten, in der Seitenmitte, eine Nummer. Nein, ein Buchstabe und eine dreistellige Nummer. Eine Signatur! Sollte es sich um Diebesgut handeln und am Ende doch ein sehr wertvolles Buch sein? Es war vorderhand nicht zu entscheiden. Etwas stach mich an der Brust … es war das seltsame Drahtkreuz, das ich mir unters Revers meiner Jacke geheftet hatte.
5
Am Sonnabend, dem Einundzwanzigsten, wurden überall die Girlanden an den gespannten Schnüren aufgehängt. Ebenso Lichter! Der König hatte die Illumination der ganzen Stadt angeordnet und bezahlt – sehr zum Leidwesen des auf Unauffälligkeit bedachten Kronprinzen. Die Friedrichstraße und die Linden erstickten fast in farbigen Papierblütenschlangen. Alle hofften, dass es nicht schneite und die ganze Pracht zu Boden glitt, bevor sie am folgenden Tag endlich einträfen! Eine Ehrenpforte war vor dem Kronprinzenpalais errichtet, wo die Ehepaare künftig gemeinsam wohnen würden. Bis zum Schloss würde die Galakutsche noch weiterfahren, wo die beiden Prinzen auf ihre Zukünftigen zu warten hätten. Das künftige Wohnhaus des Kronprinzenpaares hatte ein gemütliches Mansardenwalmdach, allein die vier Sandsteinskulpturen von Harnischen und
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