Der rote Salon
sollten sich schämen, dies für Ihr Eigentum auszugeben!«, schalt ich ihn halbherzig, denn er hatte mich mit seiner Behauptung doch letztlich vor Ort und der Auflösung der Morde näher gebracht.
»Es wird Ihnen vielleicht nicht ganz so eigennützig und verwerflich erscheinen, wenn Sie die Hintergründe kennen. Ich komponiere eine Kammermusik für zwei Harfen, Violine und Flöte … die ich ihr zu verehren gedachte … der Toten … jetzt Abgeschiedenen …«
Als de Paul das sagte, schwoll Bonneheures Schluchzen an, bis es den hohen Raum erfüllte. Wir trösteten ihn, so gut wir konnten, und ich fühlte den Schmerz über Anne de Pouquets Ableben gewissermaßen dreifach: ihren eigenen, meinen und seinen.
»Kennen Sie das Wappen?«, fragte ich Bonneheure, um ihn zu uns Irdischen zurückzuholen. »Oder Sie?«, fügte ich hinzu, an de Paul und Beatrice de Grève gewendet.
»Welches Wappen?«, fragte de Paul erstaunt zurück, denn er schien nicht darauf geachtet zu haben, dass auf dem Titel und dem Schmutztitel mühsam und feinfühlig etwas mit dem Federmesser entfernt worden war. Den Umriss davon konnte man nun, fast wie ein Wasserzeichen, im durchscheinenden winterlichen Sonnenlicht erkennen: drei Lilien.
»Das Buch gehörte jenem Großsiegelbewahrer«, erklärte ich, »der den Zirkel gründete, von dem eben die Rede war – die
L’école d’Absolu
! Es ist das Wappen der Roux.«
Bonneheure, nachschluchzend, holte eines der Bücher, die ich beim ersten Besuch in der Hand gehabt hatte, schlug es auf, und wir sahen die gleiche vorsichtig herausgekratzte Markierung. In diesem Band – es handelte sich um den ersten der achtzehnbändigen Geschichte der französischen Könige von François Comte d’Ornay – waren als neues Besitzmonogramm Mâconnais-Rambouillons Namensinitialen eingeprägt.
»Haben Sie beide an der Auktion teilgenommen, bei der des Ducs Besitz versteigert wurde? Wo sind Sie eigentlich in den Dienst des Comte getreten?«
»Erst hier in Berlin.«
»Kannten Sie den dicken Goldschmied? Monsieur Dampmartin?«
»Nur vom Sehen.«
Ich blickte zu Boden und gewahrte wieder die Stelle, die ich mich zuvor vergeblich abgemüht hatte genauer zu untersuchen.
»Haben Sie Werkzeug, um das Parkett aufzuhebeln?«, wandte ich mich an Beatrice de Grève.
»Das Parkett aufhebeln? Parkett reparieren lassen zu müssen ist teuer!«
»An dieser Stelle könnte etwas verborgen liegen, so sieht esaus. Lassen Sie mich nachschauen. Vielleicht kommen wir dem Geheimnis des letzten nächtlichen Treffens auf die Spur.«
Mit Hilfe eines Messers und zweier Gabeln, die wie die Backen einer Zange zugriffen, gelang es, einen Parkettstab unbeschädigt herauszuholen. Wir lösten weitere aus den Zöpfen, was nach dem Anfang leicht war, bis wir eine rautenförmige Fläche freigelegt hatten. Am Grund, unter dem Parkett, wo man den Estrich des Unterbodens vermutet hätte, zeigte sich ein Holzbrett. Zwei Eingriffslöcher legten den Gedanken an einen Deckel nahe. Ich steckte die Finger hinein und zog. Ein Hohlraum zeigte sich. Die Höhlung war mit rotem Samt ausgekleidet. Aber das Versteck war leer.
»Was mag darin verborgen worden sein?«, fragte Beatrice de Grève, die von meiner übersinnlich anmutenden Treffsicherheit frappiert zu sein schien.
»Dokumente?«, fragte ich mehr mich als die Umstehenden. »Diplomatenpost? Liebesbriefe?« Dann kam mir eine bessere Idee. »Hatte Prinzessin Amalie vielleicht einen Schatz an dieser Stelle versteckt?«
De Paul ging in die Hocke und wollte eben den Samt herausziehen, vielleicht um seine Noten hübscher einzuschlagen.
»Warten Sie! Sehen Sie das hier?«, fragte ich ihn, und er mühte sich, etwas zu sehen, von dessen Nichtvorhandensein er überzeugt war. Er stutzte.
»In der Tat, jetzt wo Sie es sagen … Eine kreisrunde Naht im Samt.«
»Das ist keine Naht. Das ist ein Abdruck!«
»Den Samt drinlassen?«, fragte de Paul recht dümmlichhabgierig.
»Bitte, ja! Es ist eine Spur, wir sollten sie nicht verwischen.«
»Was tun wir?«, fragte Beatrice de Grève.
»Wir verschließen es wieder.«
Ich wollte meinen Verdacht nicht zu früh äußern, doch in meinem Geist sah ich vor mir, wie etwas unendlich Kostbares in der Todesnacht aus diesem Unterbodenversteck gehoben wurde. Die Kälte kroch uns in die Glieder.
»Lassen Sie uns zu mir hinaufgehen!«, sagte die Hauswirtin und blickte seufzend zum Loch im Fenster, das sie geschossen hatte. »Hier wird es mir zu kalt. Trinken wir einen Tee
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