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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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verstummt. Ich vermerkte es am Rande, denn meine Gedanken waren bei dem Brief. Was hatte das C zu bedeuten? Bonneheure hieß mit Vornamen Christian.
Er
also war der geheimnisvolle Liebhaber gewesen! Draußen hörte man Schritte. Der Schlüssel rumorte im Schloss. Ich zog die Pistole und spannte den Hahn. Die Tür flog auf … Ein Pistolenlauf streckte sich dem meinen entgegen!
    Ich blickte in die Mündung der gegnerischen Waffe und in die erschrockenen Augen Beatrice de Grèves.
    »Was halten Sie da in der Hand?«
    »Eine Pistole, wie Sie ja auch!«
    »Nein, den Brief meine ich, was ist das für ein Brief? Was tun Sie überhaupt hier?«
    Von hinten ertönte ein schwacher Schrei.
    »O Gott!«
    Christian Bonneheure ließ vor Schreck das Feuerbesteck fallen, das er aus der Küche geholt hatte, als er uns sah.
    »Warum wollten Sie den Brief verbrennen?«, fragte ich ihn.
    In diesem Augenblick fuhr Beatrice de Grève herum, da sie ein Geräusch in der anderen Ecke des Raumes gehört hatte. Es war de Paul, der hinter dem Ofen hervorkam.
    »Nein! Nicht!«
    Ich konnte gerade noch ihren Arm mit der Pistole, die sie eben abfeuerte, nach oben drücken, wozu ich die meine und den Brief fallen lassen musste. Die Pistole der Hausherrin war diesmal nicht mit Salz geladen. Das Blei traf den Kachelofen im oberen Drittel, wo die abprallende Kugel ein Spinnennetz aus Rissen in der grün glänzenden Oberfläche produzierte. Im weiteren Flug pulverisierte sie ein Akanthusblatt am Stuckrelief, um dann eine dicke Kristalltraube vom zentralen, sechsundfünfzigflammigen Kronleuchterabzutrennen und mit einem hellen Klirren durch eine Fensterscheibe in die winterliche Gartenwelt zu entfleuchen. Die herabfallende Glasgarbe zersprang zwischen unseren Füßen. Das Herabregnen der gröberen Stuckteilchen mischte sich mit dem Prasseln, Raspeln und Rollen der Glasscherben am Boden.
    »O mein Gott, mein Lieb… Bis… Sind Sie …? Oh, welch ein Grauen!«
    Beatrice de Grève ließ die rauchende Pistole sinken, während de Paul, fein bepudert, aus dem sinkenden Gipsnebel vor der östlichen Wand auftauchte. Sie schrie. Das blanke Entsetzen stand ihr ins Gesicht geschrieben.
    »Das wollte ich nicht, wirklich nicht! Ich … wir … Ich hörte Stimmen, ich dachte …«
    Die Hausbesitzerin blickte erst zu Bonneheure, dann zu mir und de Paul. Versuchte, sich einen herrischen Tonfall zu geben, was aber misslang.
    »Wir werden die Polizei rufen! Sie sind in mein Haus eingebrochen!«
    »Beruhigen Sie sich, meine Liebe«, sagte de Paul seltsam warm und fügte tröstend hinzu: »Es ist nichts geschehen! Unsere Nerven sind angespannt wie Harfensaiten! Lassen Sie es sich nicht zu hart ankommen … Es ist alles gut gegangen!«
    Ich hob meine Pistole auf, aus der beim harten Aufprall Kugel, Schusspflaster, Zündkraut und Pulver gerieselt waren, entspannte den Hahn und schlug vor:
    »Wollen wir uns nicht der Reihe nach in Ruhe erklären? Die Polizei würde ich aus dem Spiele lassen.«
    Ich blickte in Bonneheures Gesicht. Es war nicht nur der Schnupfen, der ihm zusetzte. Tränenflüsse glänzten unter seinen Augen; ich sah es im fahlen Licht des Dezembervormittags, als er sich wieder aufrichtete, den Brief Anne dePouquets in Händen. Zärtlich blies er den Staub darauf fort.
    »Warum wollten Sie ihn verbrennen?«, fragte ich.
    »Dieser Duft nach ihrem Parfum bringt mich noch um den Verstand … Es ist unerträglich, dass sie nicht mehr auf der Welt ist. Ich wollte nicht bis an mein Lebensende die Zeilen lesen und wieder lesen, die sie mir schrieb. Und auch kein Polizeioffizier sollte sie zu Gesicht bekommen. Sie haben meine Koffer durchwühlt. Ich trug ihn am Leib, aber dann visitierte man mich, und ich verbarg ihn nur mit Glück.« Er hustete. »Ich wollte ihn hier verbrennen, hier – wo sie starb. Auf so grauenhafte Weise starb … Glauben Sie mir, ich habe keine Ahnung, was all das zu bedeuten hat!«
    Es klang nicht sehr glaubhaft. Was aber mitunter bei wahrhaftigen Aussagen der Fall ist, das möge man mir glauben, so unglaubhaft es auch klingt.
    »Aber die Harfe auf Anne de Pouquets Schulter haben Sie gesehen?«
    Bonneheure nickte, was de Paul hörbar einschnappen und eine sehr reservierte Miene aufsetzen ließ. Der Komponist hatte hier einfach den Kürzeren gezogen. Mehr als eine oberflächliche musikalische Empathie dürfte es von Annes Seite nicht gewesen sein.
    »Hat sie darüber nie gesprochen?«
    »Sie sagte etwas von einer Gemeinde, zu der sie einmal

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