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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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nach diesen Aufregungen!«
    Ich indessen wollte die Ankunft der Prinzessinnen nicht verpassen und endlich frische Luft atmen statt Moder, Schimmelblüte und Gipsstaub.
    »Nein, danke. Ich muss zur Ehrenpforte, um die schönen Bräute zu begrüßen! Wer von Ihnen kommt mit? Vielleicht schaffen wir es noch!«, sagte ich mit einer Miene, die keinen Widerspruch duldete.
    De Paul und Bonneheure zierten sich, Letzterem standen die Tränen in den Augen. Auch die Vermieterin wollte erst nicht recht, doch mein Tatendurst siegte. Das Leben musste weitergehen, auch in einem Totenhaus.
    Um kurz nach zwei langten Beatrice de Grève, de Paul, Bonneheure und ich vor dem Kronprinzenpalais an, wo ich Jérôme glücklich über den Weg lief. Er hatte verzweifelt im Gedränge nach mir gesucht und war sehr erleichtert, das merkte ich an der Art, wie er meine Hand fast zerdrückte, als er sie in der seinen barg.
    »Was ist geschehen?«, fragte er.
    »Erzähl ich dir nachher … Da kommen sie!«
    Die Menge der Schaulustigen wogte Unter den Linden. Die Galakutsche mit den Prinzessinnen und den Hofmeisterinnen hatte nur eine schmale Gasse zur Durchfahrt. Da dies in der Wilhelmstraße genauso gewesen war, hatten sieschon zwei Stunden Verspätung! Bis zum Schloss würden die beiden wohl eine weitere Stunde brauchen! Ich stellte mir die verzweifelte Hofgesellschaft vor und musste lächeln. Die Kälte würde aus den hohen Herrschaften höchst ungeduldige Eiszapfen machen. Nun, sie würden sich alle mit heißem Punsch bei Laune halten. Umso weniger frostig wäre das Willkommen.
    »Weißt du, was die beiden so lange aufgehalten hat?«, fragte Jérôme lachend und beantwortete sich die Frage selbst: »Eine Zwistigkeit zwischen den Kammerherren und den Gilden bei Schöneberg, die dort seit zehn Uhr gewartet haben. Die Kammerherren wollten dem Galawagen mit den Prinzessinnen vorausfahren, die Gildevertreter sollten ihnen allen vorwegreiten.
    »Ja und, wo ist der Haken?«, fragte ich.
    »Die Gildeleute weigerten sich, den Zug anzuführen, denn es hätte so ausgesehen, als seien sie die Vorreiter der Kammerherren. Es sollte aber so aussehen, als holten
sie
die schönen Bräute ein. Sie fuhren erst weiter, nachdem die Kammerherren klein beigegeben und sich hinter den Prinzessinnen eingeordnet hatten … Einholen ist eben Bürgersache!«
    »Die haben vielleicht Sorgen!«, sagte ich. »Solcher Kinderkram hat mich noch nie interessiert.«
    Wir stimmten in den Jubel ein, der sich jetzt von der Volksmenge erhob. Ich konnte sehen, wie die Zuschauer, die es geschafft hatten, sich auf die oberste Stufe der Freitreppe vor der Oper zu schieben, die Arme hochrissen. Die Männer schwenkten die Hüte. Die Frauen hatten Blumengebinde in den Händen. Die Abgeordneten der Handwerkskörperschaften, von denen eben noch die Rede gewesen war, angeführt und begleitet von der Garde du Corps, schritten eingebildet dem goldenen Wagen voran.
    Als sich die Paradekalesche mit Prinzessin Luise und Prinzessin Friederike durch die zehn Lachter hohe Ehrenpforte schob, die mit Girlanden, Myrtenkränzen und dem Spruch
Gleiche Freundschaft! Gleicher Liebesbund!
geschmückt war, ging mir schmerzlich der Gedanke an Anne de Pouquet durch den Kopf, ohne dass ich es hindern konnte. Die Glocken der Kirchen läuteten, ein gewaltiges Feuerwerk prasselte ab, das auf der Sternwarte in der Letzten Straße gezündet wurde. Einige Begeisterte erschienen auf den Dächern der umliegenden Häuser. Unerschrockene Bengel hatten die vereisten Äste der Linden erklommen.
    Da erblickte ich die beiden wundervollen Schwestern. Wie ihr goldiges Lachen durchs Kutschfenster strahlte! Ich vergaß für den Moment, dass Anne de Pouquet tot war. Ich wollte die Gefährtin kneifen und ihr zu verstehen geben: Schau, da sind die beiden, mit denen wir eine lustige Nacht durchgetanzt haben … Bis ich merkte, dass es Jérôme war, den ich kniff. Er freute sich so an meiner Freude, dass er meine Verwirrung nicht bemerkte.
    Eine Gruppe brautweiß gekleideter Mädchen vor uns, mit Blumen und Gedichten bewaffnet, geriet in Bewegung. Die Kleinen stürzten, in kurzen Kleidchen trotz der Kälte, gänzlich die Welt um sich her vergessend, zum geöffneten Wagenschlag. Jemand hatte die Tür aufgemacht, es war Luise! Die Hofmeisterin Voss hatte es, mit grimmiger Miene Gegenwehr leistend, fast nicht zugelassen. Eine Berliner Tochter, ohne Stand und nur von dem Wunsche beseelt, die angebetete Luise zu umarmen, tut, was sie nicht

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