Der rote Salon
Decolletés. Den König schienen die Einblicke weniger zu stören, er hatte Luise ein Brillantbouquet zum Geschenk gemacht und auch den Walzer für hoffähig erklärt, als die tanzwütigen Bräute ihn darum baten. Seine Frau, die kleine dicke, prüde Königin, wandte sich daraufhin demonstrativ ab. Sie hielt den Kopf lange zur Seite gewendet, um den schamlos nahen Tanz nicht sehen zu müssen, bekam einen steifen Hals und ging früh zu Bett. Man weinte ihr keine Träne nach, und allseits stiege nun, so die Schwester des schönen Louis Ferdinand, die Hoffnung in Hofkreisen,dass es endlich wieder lebendig werde in Preußens Tanzsälen.
Auch am Heiligabend arbeiteten wir mit Hochdruck, obschon es Sonntag war. Kein Kinderauge sollte wegen unserer Saumseligkeit feucht werden, niemand sein Zeichengerät oder seinen Bildwerfer auf dem Gabentisch vermissen. Wir hatten um die Mittagszeit noch immer zwanzig Bestellungen abzuarbeiten, als ein livrierter Bote erschien und Jérôme einen großen Umschlag übergab. Er wartete offenbar auf ein fürstliches Trinkgeld, denn er wollte schlechterdings nicht wieder abziehen. Als ich Anstalten machte, ihm einen Vierteltaler in die Hand zu drücken, wies er das lächelnd zurück und sagte:
»Pardon, Marquise, ich bin angehalten, jeden Obolus abzulehnen. Man bezahlt mich fürstlich genug. Ich warte auf Ihre Antwort. Seine Königliche Hoheit, der Kronprinz, und Ihre hochfürstliche Durchlaucht, die Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, wünschen ein kurzes Signal, dass der Marquis und Sie zur Verehelichung heute Abend erscheinen werden!«
Ungläubig, trotz Brief und Siegel, lasen wir:
An den Marquis und die Marquise de Lalande, Mohrenstraße 6, Berlin – Einladung zur Feier der Vermählung Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen und zur Königlichen Beilagertafel, bei welcher vom Goldenen Service gespeißt wird …
Die restlichen Stunden des Nachmittags verstrichen in Verzückung. Schneller als gedacht, kamen wir mit unserem Pensum zurande. Mich allerdings peinigte die einzige Frage, die für uns Frauen in einer solchen Situation von Belang ist: Was zur Hölle sollte ich anziehen?
Wenn es übrigens etwas gab, das ich an der Revolution nach wie vor liebte, war es ihre Wirkung auf die Frauenmode! Ein beiges oder weißes Chemisenkleid mit Schulterfreiheit, ohne Korsett, dazu eine männliche Überjacke und ein Redingote oder ein Pelz bedeuteten mehr Freiheit als alle schönen Worte von künftigen weiblichen Freiheitsrechten. Auch im Winter fühlte ich mich wohler mit einer langen wollenen Hose unterm wallenden Gewand, als mit einem Freibrief von der Volkswohlfahrt. Eine Schärpe, die kleidsam um die Taille geschlungen werden konnte – jetzt war die Gelegenheit da.
Ein Chemisenkleid mit Schal und Schärpe, keine Frage. Doch welche Couleur? Es wurde ein harter Kampf, bis ich mich für ein Lindgrün entschieden hatte, das Kleid betreffend, und für einen weißen Schal. Ein hübscher Kontrast zu meinem Haar, das ich seit jeher tizianrot färbte. Also frisch eine gleichfarbene Schärpe um die Taille gelegt! Man mag sich meine Aufregung vorstellen und gehörig den Kopf über mich schütteln. Ich hätte es verdient gehabt. Als wäre es meine eigene Hochzeit gewesen.
Unbeschreiblich die Menschenmassen, die sich in den beiden Schlosshöfen tummelten wie auf dem Jahrmarkt. Wir waren durchs erste Portal vom Schlossplatz her in den Schlüterhof gegangen, um das bunte Treiben in seiner ganzen Pracht zu sehen. Auch an diesem Tag waren wieder die Abordnungen sämtlicher Berliner Gewerke aufmarschiert. Doch ihre Ordnung war längst aufgelöst. An Buden wurden heiße Getränke ausgeschenkt. Es duftete nach Braten, nach Punsch und Bratäpfeln. Musik erklang, leicht verzerrt vom eisigen Hauch, der über die Felswände des Schlosses herunterfuhr. Doch der Festtaumel blieb von der Zugluft ungedämpft. Überall standen große Feuerschalen,an denen sich die halb Erfrorenen wärmen konnten, wenn es ihnen gelang, einen freien Platz zu ergattern. Das Straßenvolk drängte sich, es hatte freien Zutritt, bis der Platz nicht mehr reichte. Der König bezahlte für Speis und Trank, sodass man sich ausmalen kann, wie bereitwillig alle Welt hereinströmte. Im Übrigen wartete man darauf, dass das frisch vermählte Paar sich zeigen würde. Doch recht eigentlich war das hier schon Nebensache.
Durchs Altangebäude gelangten wir in den großen Schlosshof, wo sich ums Denkmal für den heiligen Georg das Bild
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