Der rote Salon
Drosselstrippe. Natürlich konnte man nicht seelenruhig einen nach dem anderen erwürgen. Zwei von dreien hätten Zeit zu schreien oder zu fliehen. Auch wenn sich der dickliche Schmied noch etwas zur Tür hin geschleppt hatte, schien mir doch sicher zu sein, dass zwei Täter am Werk gewesen sein mussten.
Wenn ich im Geiste morde, spiele ich gern alle Eventualitäten durch: Wären es drei Mörder gewesen, hätte es der Schläge für Mâconnais-Rambouillon und Dampmartin nicht bedurft. Jeder Mörder hätte eines der Opfer tödlich umhalsen können. Wäre es einer gewesen, so hätte er zwei zu Strangulierende mit Schlägen ruhigstellen und dann sein erstes Opfer heimsuchen müssen – eine sehr unwahrscheinliche und mit dem Risiko des Misslingens behaftete Variante. Zwei Personen niederzuschlagen, um ungestört der dritten beizukommen – kein leichtes Spiel, wenn man allein ist. Also waren es zwei gewesen, dessen war ich nun vollendsgewiss: der draußen Wartende und ein weiterer, den ich insgeheim Türöffner nannte, um nicht nur wesenlose Variable vor mir zu sehen. Ich wusste nicht, was genau sich abgespielt hatte zwischen den drei Personen. Waren es die einzigen im Raum gewesen, als der oder die Mörder hinzukamen? Waren sie von kultischen Handlungen abgelenkt, dass sie die Gefahr zu spät erkannten? Hatte derjenige, der eventuell die Tür geöffnet hatte, etwas mit ihnen zu tun gehabt? War er gar einer von ihnen?
Noch immer war das Harfenspiel der Hausherrin zu hören. Keinen Plan für mein Vorgehen vor Ort zu haben und einfach sehen zu wollen, ob es etwas zu entdecken gäbe, rächte sich jetzt. Ich verlor zu viel Zeit beim sinnlosen Umherschauen. Im Bestreben, unbedingt etwas zu entdecken, sah ich nichts. Der Fleck, der mir aufgefallen war … Aufmerksam spähte ich nun aufs Parkett, um die Stelle nahe beim Kamin wiederzufinden, an der möglicherweise etwas verborgen lag. Da war sie. Jetzt wirkte sie harmlos. Gar nicht so leicht, einen Stab des Bodenbelags zu lösen! Mit bloßen Händen wollte es nicht gehen. Verdammt … daran hatte ich nicht gedacht.
In diesem Augenblick hörte ich das Zischen de Pauls, der lautlos hereingekommen war. Er war leichenblass und gestikulierte wild. Das Harfenspiel verstummte nicht. Etwas anderes war im Anmarsch.
»Es kommt einer, ich glaube, es ist Bonneheure, ich erkenne ihn am Husten. Rasch, hier hinüber!«
Während ich, ziemlich kopflos, noch fieberhaft überlegte, wohin ich verschwinden oder wie ich mich unsichtbar machen sollte, hatte de Paul das Problem schon gelöst. Er zog mich hinter den Kachelofen neben der zentralen Tür, vor der sich nun leise Tritte vernehmen ließen. Sie hielten inne, und ein Schlüssel drehte sich knirschend im alten Schloss.
Es war der erkältete Sekretär Bonneheure. Er hustete zum Gotterbarmen. Das Harfenspiel stockte. Setzte erneut ein. Der Eintretende schloss die Tür ab. Jetzt hätte er uns für eine Sekunde sehen können, so wie wir ihn sahen. Doch er bemerkte uns nicht und entschwand aus meinem Blickfeld. Ich hörte ihn langsam auf dem knirschenden Parkett zur Fensterfront gehen. Im jenseitigen Kaminspiegel tauchte er wieder auf, und ich registrierte die Melancholie, mit der er in die verschneite Wildnis hinterm Palais starrte.
Ich atmete flach und war de Paul so nahe, dass wir uns berührten. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Aber ich zwang mich zur Ruhe. Im Spiegel über dem Kamin war eine Bewegung wahrzunehmen: Bonneheure war verschwunden!
Ich ließ mich langsam zu Boden gleiten, um unter dem vorgewölbten Bauch des Kachelofens hinüberzublicken. Jetzt sah ich den Sekretär dort stehen, wo ich mich eben vergeblich mit dem Parkett abgemüht hatte.
Bonneheure machte indes keine Anstalten, den Boden aufzuhebeln. Er stand einfach nur da und sinnierte, wie mir schien.
Dann holte er plötzlich einen Brief, mit einer rosa Schleife versehen, aus dem Busen und legte ihn in den Kamin. Er betastete seine Jacke, als suche er noch etwas. Er wollte ihn anzünden und hatte kein Feuerbesteck bei sich! Jetzt ging er nach nebenan in die Küche, es zu holen.
Ich kannte kein Zurück, auch wenn de Paul mich an der Jacke zupfte – ich eilte zum Kamin. Schon hielt ich den Brief in meiner Hand und verschlang ihn gierig mit den Augen. Nur ein großes, sehr verliebt geschwungenes C prangte darauf. Der Umschlag roch auch deutlich, nein: er duftete! Es war ein Duft, den ich kannte – das Parfum hatte Anne de Pouquet verwendet …
Das Harfenspiel war
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