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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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wiederholte. Nur ein etwa fünfzig Schritt breiter Streifen vor der Rückfront des zur Schlossfreiheit hin gelegenen sogenannten Neuen Schlosses war von einer Linie Posten abgesperrt. Die Glieder dieser lockeren Kette versahen ihren Dienst mehr gutherzig als ruppig und ließen sich die Krüge heißen Weines gefallen, die ihnen junge Bürgerinnen brachten, und deren wärmende Blicke nicht minder.
    Welch ein erhabenes Gefühl war es da, den eigenen Namen auf einer Liste abgehakt zu sehen und neben Jérôme die Absperrung durchqueren zu dürfen. Ihm erschien all dies viel weniger spektakulär als mir, denn er war einmal mit seinem Vater, dem Marquis Auguste Philippe de Lalande, bei Louis XV. in Versailles in Audienz empfangen worden. Gemessen daran war die Heirat eines preußischen Kronprinzen … nun ja, mein geliebter Ehemann hat auch heute mitunter noch eine etwas verächtliche Art, die Geschehnisse an kleineren deutschen Höfen herunterzuspielen. Gerade er, der ja alles andere als ein blinder Monarchist ist!
    Die großen Lampen am Eosanderportal strahlten, die schweren Türflügel aus Eichenholz waren ganz nach innen geklappt. Rote Läufer fielen über die Friedrichstreppe bis vor unsere Füße herab und verdeckten die mittlere Trittspur auf den breiten weißen Marmorstufen, über die wirnun bis zur zweiten Etage hinaufstiegen. Der weiße Saal war anderthalb Stockwerke hoch und hieß nach dem hellen Stuckmarmor der Wände: ein länglicher Raum mit farbig ausgemalter Kastendecke im Tonnengewölbe, der auf den Längsseiten je neun oben abgerundete Fenster besaß und auf den beiden Kopfseiten je drei gerade Durchgänge zwischen zwei dorischen Säulen auf hohen Sockeln, vielleicht auch nur Säulenreliefs, ich bin mir nicht mehr so sicher … Unter einem Sonnenwald barocker Kronleuchter, deren Trauben wie Wurzelstöcke wirkten, die stalagmitenhaft von der Decke einer Grotte herabhingen, tanzten bestimmt dreihundert Gäste, als wir eintraten. Es war der lichteste und schmuckloseste Saal im Schloss; wahrscheinlich hatte der Kronprinz deshalb darauf bestanden, dort vermählt zu werden. Die seidenen Ballkleider der Damen warfen das Licht bunt zurück, die silbernen Orden und Tressen an den Uniformen der Herren blitzten auf tiefblauem Tuch. Geschmeide, Perlen und nie gesehene Steine schimmerten auf den Decolletés.
    Durch das Stimmengewirr klang ein Wiener Walzer – die Marseillaise des Herzens, wie einmal jemand gesagt hat –, und das hochrote Gesicht der Oberhofmeisterin, die an der Seite stand, neben den Thronsesseln unter dem luftigen Baldachin aus rotem Samt, sprach Bände. Ein Walzer im Schloss? Das war wie bürgerliche Kinder umhalsen! Wir mischten uns lachend unter die Tänzer und gewahrten erst mit der Zeit, dass wir Aufsehen erregten. Die Blicke richteten sich auf uns, man wich aus, trat einen Schritt zurück, wenn wir uns näherten. Erst war mir nicht bewusst, was der Grund war, doch dann flüsterte Jérôme lächelnd:
    »Was du wieder anhast!«
    Keine Hofdame, die jetzt nicht maßregelnd-neidische Blicke auf meinen modischen Jakobinismus geworfen hätte.Ich war immerhin die Einzige in Revolutionskleidung. Nach dem ersten Schock über diese Erkenntnis genoss ich schließlich die bewundernden Blicke der abenteuerlustigen Männer, die sich mit den Umwälzungen der Mode viel leichter taten als die oft engstirnigen, traditionsbewussten Frauen.
    Die Musik wurde leiser. Die zahllosen golden livrierten Lakaien offerierten Tabletts voller Gläser mit rosa Champagner. Urplötzlich trat – trotz meiner lindgrünen Chemise – Herr von Bischoffwerder persönlich, Generalmajor und Außenminister, mutig auf mich zu. Ein schöner Mann, ritterlich, taktvoll und ganz Sohn seiner Zeit, der die mystische Verinnerlichung und Schwärmerei mit sehr diesseitigen Freuden zu verschmelzen verstand.
    »Marquise de Lalande, welche Ehre! Marquis … Ich sehe, Sie wundern sich … Aber der Polizeichef hat mir gesagt, mit wem wir die Ehre haben …«
    Der Herr Minister, der zugleich zur Camarilla um den König gehörte, hatte sich nicht von ungefähr angepirscht. Dass er meinen Marquisentitel herauskramte, den ich zuletzt, ach, ich wusste nicht wann, gehört hatte, schmeichelte mir seltsamerweise.
    Jérôme lächelte, er pflegte seinen Titel für gewöhnlich zu vergessen, um ihn im Notfall wie ein Rapier zu benutzen. Während Bischoffwerder uns nun seinerseits halblaut einige der Anwesenden vorstellte, fragte er uns ganz unverfänglich über

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