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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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royalistische Émigrés auftreten, ist Fassade!«
    Ich erkannte es jetzt mit schrecklicher Klarheit.
    »Sollen wir die Polizei informieren?«, fragte Jérôme, ehrlich erschrocken und daher desorientiert. Wenn auch die Polizei zum Großorient der Logenbrüder gehörte, wie sollte man da Gehör finden? Ich wollte ihn aber nicht verbessern und sagte:
    »Nein. Ich muss erst mehr herausfinden. Lass uns nachsehen, was im Altangebäude passiert.«
    Ganz überzeugt war ich von meiner Theorie noch nicht. Was hatte Anne de Pouquet mit den jungen Adligen zu schaffen, die in des Ducs oder wessen Namen auch immer aufständische Bauern in Frankreichs fernem Westen gegendas revolutionäre Zentralregime mobilisierten und anführten?
    Wir hatten uns etliche Meter vom Feststrom entfernt und standen vor der Tür zum Alabastersaal, dem einst größten und prunkvollsten Raum im Schloss. Jetzt diente er als Abstellkammer. Niemand blickte zu uns hin. Im nächsten Moment waren wir schon hineingeschlüpft und sahen uns Bergen von Stühlen und Schränken gegenüber, die eine wahre Schlucht formten, in deren Verlauf wir nun Arrats und Dampmartins Schatten gewahrten. Vom Fackelschein der beiden Schlosshöfe umwabert, standen sie in der einstigen Saalmitte und verharrten.
    In einiger Entfernung, im Rahmen einer zweiflügeligen Saaltür, die sich schauerlich knarzend öffnete, erschien ein Lichterpulk. Wir spähten, gut verborgen zwischen Mobiliar, auf das Geschehen und sahen zu unserer Überraschung den Außenminister, unseren wissbegierigen Impressario, gefolgt von Polizeichef und Justizminister. Es folgten drei der französischen Kammerherren des Königs, die uns Bischoffwerder benannt hatte, sowie einige Militärpersonen, die mir unbekannt waren. Sie stellten sich im Kreis auf und die Laternen auf einige Postamente. Wöllner sprach:
    »Versammelte des Geheimen Direktoriums! Heute Abend haben sich zwei einfache Maurer der hohen Bruderschaften des Grand Orient de France zu uns begeben mit der Bitte, ihnen in einer Angelegenheit Gehör zu schenken, die für unser Land von eminenter Bedeutung sein kann. Nach dem grauenhaften Sakrileg von St. Denis und dem tragischen Fall von Cholet ist eine neue Geschlossenheit unter den katholischen und königlichen Soldaten entstanden. Eine zweite antirevolutionäre Armee ist im Entstehen, und die Keimzelle dieses Heeres ist das ehemalige Herzogtum von Malmaison in der aufständischen Vendée. Bruder Arrat vonder
Loge La Discrétion
aus Nantes und Bruder Dampmartin von der
Loge Porte de la Grosse Horloge
aus La Rochelle möchten uns etwas darüber erzählen!«
    Diese Gauner hatten sich sicher sogar falsche Logennamen ausgedacht! Ich entsann mich, dass mir Anne de Pouquet von der Schändung der Gräber von St. Denis berichtet hatte, bei der die Knochen der alten Franzosenkönige in die Seine geschüttet, vergraben, verstreut und verbrannt worden waren ...
    Arrat trat in den Kreis und sagte:
    »Preußische Brüder! Die Schlacht von Cholet, wo die heroischen Bauern der Vendée unter den wild entschlossenen Anführern der krontreuen Edelleute so blutig geschlagen worden sind, hat 40 000 Tote aus den Reihen unseres Lagers gekostet! Ein ganzer Landstrich wurde förmlich entvölkert ...«
    Gemurmel auf Seiten der Zuhörer. »Vierzig... Unfass... Fürch... Grauen...«
    »Nun ist die Rede von einer zweiten Anstrengung. Doch die Vorzeichen sind schlecht. Die Geister der alten Könige sind erbost. Sie wüten und greifen nach den Lebenden. Man muss hören, was ihr wahrer Wille ist, bevor man Opfer bringt, die ihnen nicht genehm sind! Alles deutet darauf hin, dass die Verluste beim nächsten Mal noch höher sein werden.«
    Erneutes Gemurmel, unverständlich, jedoch hörbar erstaunt.
    »Erklären Sie sich genauer, Bruder!«
    Statt Arrat ergriff Dampmartin das Wort.
    »Verehrte Brüder: Unlängst ereignete sich in den Mauern dieser Stadt etwas, das ein scheußliches Gewaltverbrechen zu sein schien. Ich wage nun zu behaupten, dass es nichts weniger war als dies!«
    Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, als ich das hörte. Die Runde lauschte gespannt. Wöllner brauste auf:
    »Was wissen Sie davon? Was soll es sonst gewesen sein? Der Polizeibericht ist eindeutig! Die Täter sind überführt!«
    Distel räusperte sich hörbar bei diesen Worten. Der helle Schein einer Laterne ließ Dampmartins rundes Gesicht wie eine Oblate erscheinen. Sein fettiges schwarzes Haar glänzte. Er tat sehr geheimnisvoll.
    »Wie Sie sicher wissen,

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