Der rote Salon
Mohrrüben, Croüt von Champignons
und
Spargel coupés mit kleinen Fricandeaux
. Auf den goldenen Desserttellern folgten nicht weniger als zwölf Süßspeisen – zur Auswahl, versteht sich –, darunter:
Romanische Kuchen en Turban, Pommes en robe de chambre, Makronen-Torte mit kleiner Grotte, Portugiesische Torte mit kleinem Tempel
und ein unbeschreibliches
Gelée von Himbeeren
.
Wir waren restlos gesättigt nach dem Schmaus, und die Königinwitwe, die ich in sich gekehrt des Öfteren wehmütig lächeln sah, mochte wohl der Zeiten in Schönhausen gedacht haben, wo oft Schaugerichte hatten aufgestellt werden müssen aus Mangel und nicht selten Gäste zusammengebrochen waren, da sie nach sechs Stunden Anfahrt und Herumstehen nur eine einzige Kirsche oder ein trockenes Stück Staubkuchen zur Stärkung ergattert hatten.
Nun ging es zum Tanz in den Weißen Saal zurück, wo die Kronprinzessin sichtlich munter wurde. Sie lebte auf, wenn nur das Wort
Tanz
fiel! Und da sollte sie nun gar, einer altmodischen Etikette entsprechend, mit allen männlichen Mitgliedern des Königshauses tanzen! Noch aus den Tagen des Großen Kurfürsten stammte ein
Dance de Flambeaux
,bei dem die Staatsminister Bischoffwerder, Wöllner und fünfzehn weitere Kollegen mit Fackeln vorausschritten ... Nachdem Luise so mit den nächsten Verwandten getanzt hatte – Prinz Heinrich als Einziger fehlte, denn er hatte sich nicht überwinden können, dem verhassten Neffen zu begegnen –, geriet sie an Louis Ferdinand, der sie schon den ganzen Abend über mit Blicken verschlungen hatte. Sie hatte kreisrunde rote Flecke auf den Wangen, die man lieber an ihr gesehen hätte, als sie mit ihrem Mann tanzte ... War da etwa ein Zeichen des Wiedererkennens? Zumindest war es das Ende des Tanzpartnerwechsels. Zwischen der Kronprinzessin und dem Galan wurden Worte gewechselt! Die Oberhofmeisterin stand zorngerötet an der Tanzfläche. Doch das schöne Paar wollte und wollte sich nicht trennen. Als der Kronprinz hinzutrat, konnte Luise nicht Nein sagen. Sie sahen einander recht kalt an, fand ich: Mann und Frau, ihr Gatte und Louis Ferdinands Onkel dritten Grades, Sohn des Bruders des Großonkels... Wenn man es nicht den Anstrengungen des Tages zurechnen wollte, hatte es beinahe den Anschein, als lägen die Eheleute schon bald statt im Ehebett im Zwist. Und der Verwandte mit dem üblen Ruf schien der Anlass dafür zu sein.
Mitternacht rückte näher, und wir waren bestrebt, uns langsam davonzustehlen. Großmutters Zorn auf uns zu ziehen, indem wir den Bescherungsabend in der Roßstraße schwänzten, darauf legten wir keinen Wert! Beim Blick aus den Fenstern konnten wir erkennen, dass der Heilige Abend im Schlüterhof seinem unheiligen Höhepunkt zustrebte. Die Masse war »aufgepunscht«, wie Philippa sagen würde, und grölte gut hörbar Weihnachtslieder mit schlüpfrigen Verballhornungen; auch Zelter und die älteren Mitglieder der Singakademie machten mit, etwa:
Auf Christine, sink festlich hernieder
... statt:
Auf Christen, singtfestliche Lieder
oder:
Die Nacht, die ist so freudenreich
...statt:
Der Tag, der
... Und so weiter.
»Komm, lass uns einen Spaziergang machen!«, schlug ich vor. »Wir können ja so tun, als seien wir die Hausbesitzer!«
»Das galante Accessoire brauchen wir nicht. Ich werde später an dir eins finden ...«, alberte Jérôme.
Ich lächelte und sah die Voss vor mir, die nach Ende der Tänze allen Zeugen der Vermählung ein Stück Strumpfband aushändigen würde. So war es Sitte. Ich hätte es teuer verkaufen können, doch ich selbst legte auch keinen Wert auf den Fetzen.
Wir waren ganz allein und ohne jede Bewachung auf dem Gang zu den Paradekammern. Ich wollte noch einmal zurück in den Rittersaal, wo wir gegessen hatten. Vom Gejohle der Menschen im Schlüterhof begleitet, die jetzt durch das Portal zum Lustgarten hinausquollen, tasteten wir uns vor. Auf dem letzten Wegstück waren die Lichter bereits gelöscht. Die Audienzzimmer des ersten Friedrich lagen aufgeräumt und verwaist vor uns, das edle Goldgeschirr im Rittersaal hing bereits wieder poliert an der Wand. Die Teller glänzten wie Wappenschilde. Es funkelten die hohen Prunkwände im Widerschein des Fackellichts und der Illumination des Lindencorsos. Fast wie anbrandende Revolution aus der Perspektive der Schlossbewohner ...
Das Blut gefror mir in den Adern.
Eine Ritterrüstung knarrte ... Im Helmvisier bewegten sich beinerne Kiefer! Ich erschrak fast zu Tode, als ich es im
Weitere Kostenlose Bücher