Der rote Salon
der kleinen Flügelwesen und wollte eben die Lippen auf ihre Brust senken. Sie wehrte ihn sanft, aber bestimmt mit dem goldenen Fächer ab, dann ließ sie selbigen wie einen Schutzschild aufschnappen.
Louis Ferdinand seufzte, befreite einen golden lackierten Stuhl aus einem Gestrüpp vieler gleichartiger, setzte sich ans Instrument und schlug sanft die Saiten an. Zur Probe erst, dann – beruhigt über den reinen und stimmigen Klang – beherzter.
Ein Liebeslied erhob sich wie auf zarten Geisterschwingen in der Dunkelheit und Abgeschiedenheit des alten Saales. Es schien, als erzähle der Raum aus seinen Erinnerungen. Ich sah die Kostüme der Damen der vergangenen Jahrhunderte gravitätisch beim Tanz sich wiegen und hörte das Liebesgeflüster der Kavaliere. Wenn schon das Spiel geeignet gewesen wäre, jedes Frauenherz zu erweichen, so tat es vollends die warme, sanfte und doch so klare, feste Bardenstimme.
Sie legte ihm verträumt die Hand auf die Schulter.
Ich sah Jérôme an, doch statt Hohn und Spott, wie ich vermutethatte, las ich Bewunderung über die Musikalität des Prinzen in seiner Miene. Was sollte ich nur tun? Auf Luises Gesicht malten sich Verzückung und Hingerissenheit. Jetzt berührte ihre Wange beinahe Louis Ferdinands Haar. Schmachtend wandte er sein Gesicht dem ihren zu, seine Lippen öffneten sich leicht, und sie schien ihren – ohnedies wohl nur schwachen – Widerstand aufgeben zu wollen ...
In diesem Moment setzte der Prinz, wie zum Triumphe, seiner Eroberung völlig sicher, einen hellen, sehr hohen Harfenton, worauf die hohe unsichtbare Decke des Alabastersaales in eine höchst unheilige Bewegung geriet. Ein Rauschen hob an, als ergösse sich ein breiter Schwall dunklen Wassers in die Schale eines riesenhaften Muschelbrunnens. Es zirpte, flatterte. Luises Schrei mischte sich mit meinem, und es klang wie ein verzerrtes Echo. Myriaden von Flughunden, ausgewachsenen, großen Fledermäusen, die droben ihren Winterschlaf gehalten hatten, schwirrten aufgewirbelt um die Möbel. Der Prinz suchte Luise schützend zu umfangen und zu Boden zu ziehen, da erhob sich Jérôme unversehens, mit einem alten Wandteppich als Überwurf... Luise sah es, entwand sich dem Galan und lief mit gellendem Aufschrei dem Ausgang zu.
»Weiche, Satanas!«, fauchte Louis Ferdinand, den hier einmal sein unerschütterlicher Mut zu verlassen schien, und stieß versehentlich den Leuchter um, als er danach fassen wollte, wodurch der Raum in völlige Dunkelheit fiel. Im Davonstürzen streifte der Prinz gar noch einen Schrank, der sich erst nach hinten neigte, dann zurückschwang, um mit Theaterdonner diese Szene unter sich zu begraben.
Wir verließen das Schloss recht erheitert und langten um ein Uhr in der Nacht, von Kälte und Erschöpfung ernüchtert, bei Großmutter an. Unsere Teilnahme an Hochzeit und Hochzeitsschmaus hatte rasch die Runde gemacht, undman erzählte sich allenthalben vom Zorn der Voss, als Luise uns gegen alle Etikette angesprochen und eingeladen ... Auch die Kinder waren noch wach und stahlen uns die Worte von den Lippen, mit denen wir ihnen den unvergesslichen Abend vormalten, den wir erlebt, mit einigen gebotenen Auslassungen, versteht sich.
Als wir am ersten Weihnachtsfeiertag aufwachten, schlug es schon zehn. Marthe, über den späten Tagesbeginn nicht im Mindesten erstaunt, wollte alles vom Hochzeitsabend ganz genau wissen.
Ich fasste mich kurz, denn ich musste möglichst rasch einen Entschluss fassen: Wie war mit den Erkenntnissen und Einblicken der Nacht umzugehen? War es überhaupt klug, den König via Kronprinzessin und Kronprinz über die zwei Franzosen aufzuklären?
Jérôme war der Ansicht, dass es am sichersten und einfachsten wäre, Distel, den Polizeichef, von dem Gehörten in Kenntnis zu setzen. Mochte er es seinem obersten Dienstherrn beibringen, wenn er wollte. Oder es unterlassen ... Wir zumindest hätten unsere Schuldigkeit getan. Schon das Wort
Schuldigkeit
verursachte mir Magengrimmen. Jérôme hatte zu viele Enttäuschungen im Wechsel der Systeme erlebt, um für so etwas Abstraktes, wie ein Staatswesen es ist, mehr als schiere Gleichgültigkeit zu empfinden. Ich spürte, dass er mir keine große Hilfe sein würde. Wenn wir Distel informierten, würde er uns glatt inhaftieren lassen, weil wir in augenscheinlich betrügerischer Absicht eine Zusammenkunft von engsten Mitarbeitern und Vertrauten des Monarchen ausspioniert hatten.
8
Und dann war Weihnachten vorüber, und ich
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