Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
zögerte noch immer mit der Entscheidung. Es war wärmer geworden am zweiten Weihnachtsfeiertag, an dem Luises Schwester und Friedrich Wilhelms Bruder geheiratet hatten, und nun, am siebenundzwanzigsten, einem Freitag, wieder frostiger.
    Als die spätere Fürstin Radziwill wieder Schokolade bei meiner Großmutter einkaufte, erzählte sie allerlei seltsame Dinge über den zweiten Teil der Doppelhochzeit. Louis habe sich kühl gegen Friederike benommen. Und ihr eigener vielgeliebter Bruder sei von Kronprinz und Kronprinzessin sehr herablassend behandelt worden. Die Klatschsüchtige hatte ihn nach den Hintergründen seiner Verletzung – einer deutlichen Schramme an der Wange – gefragt und glaubte, es seien die Folgen eines Ehrenhandels ... Ganz Berlin hat im Folgenden diese Version übernommen – ein Duell zwischen dem Kronprinzen und Prinz Louis Ferdinand! Wegen einer abfälligen Bemerkung über die »Ferdinanderie«, den kleinen Hof des Prinzen Ferdinand in Schloss Bellevue. Jérôme und ich mussten lachen, als wir das hörten.
    Wir saßen über den ersten Reparaturaufträgen, denn im Festtagstrubel waren erwartungsgemäß kleinere Havarien vorgekommen, als eine Hofkutsche die Mohrenstraße herunterfuhr und vor dem Haus hielt.
    Kurz darauf trat eine verhüllte Dame in unsere Werkstatt, schlug die Gaze vor ihrem urzeitlichen Hutmonstrumhoch, und es erschien ... das altjungferliche, runzelige, vergrämte Hofmeisterinnengesicht des Fräuleins von Voss. Ich erschrak so sehr, dass ich die Schreckenslaterne fallen ließ, die ich gerade repariert hatte. Sie quittierte es mit einem säuerlichen Lächeln. Die Stimme, die an mein Ohr drang, war kalt und gouvernantenhaft.
    »Ihre Königliche Hoheit die Kronprinzessin hat den Wunsch geäußert, Marquise, Sie im Palais Unter den Linden zum Tee zu empfangen. Ich bin von Höchstderoselben beauftragt worden, Sie abzuholen.«
    Mir wurde ganz anders. Ohne viel Aufhebens zu machen, hob ich die Trümmer der Laterne auf, legte sie beiseite, warf den Rotfuchsmantel über meine goethische Tracht, die ich beim Arbeiten gerne trug, schnürte meine Winterstiefel und setzte einen hellgrauen Männerhut auf.
    »Äh, Marquise ... Wollen Sie vielleicht...? Ihr Kostüm ...? Überdenken ...?«
    Ich strahlte sie mit genüsslichem Erstaunen an.
    »Was haben Sie gegen blauen Samtfrack, gelbe Weste, gelbe Lederpantalons und weißes Halstuch? Goethe hat diese Mode hoffähig gemacht, sein Werther trug dergleichen als Erster. G-o-e-t-h-e! Haben Sie den Namen schon einmal gehört? Die Kombination nennt sich daher auch
Wertherkostüm
, und ich finde, ein langer Fuchspelzmantel und ein grauer, breiter Hut mit schwarzer Banderole passen hervorragend dazu! Sie nicht? Ich doch!«
    So stieg ich also nach nur drei Minuten zur Voss in den Wagen, die offenbar erwartet hatte, ich würde noch stundenlang Toilette machen. Auch schien ihr despektierliches Lächeln anzudeuten, dass es ihr sowohl missfiel, diesen Auftrag erhalten zu haben, als auch ihn auszuführen. Und eine Marquise, die ja immerhin mehr galt als eine Gräfin, ihren Titel offiziell nicht führen zu sehen und selbige beimReparieren von Gerätschaften – sprich niedersten Verrichtungen – vorzufinden, das ging über ihren Verstand. Sicher hätte man die Freizeitbeschäftigungen höchster Fürsten anführen können, um diese Einschätzungen zu relativieren (war nicht Zar Peter recht fröhlich Zimmermann gewesen? Hatte nicht auch der Soldatenkönig genüsslich seinen Gemüsegarten umgegraben?), doch wozu?
    Der hohe Bau des Kronprinzenpalais’ war innen sehr schlicht. Es gefiel den Berlinern über die Maßen, dass Friedrich Wilhelm und Luise den kleinen Palast dem großen Schlosse vorzogen. Unter lebhafter öffentlicher Anteilnahme waren die Frischvermählten am ersten Weihnachtsfeiertag eingezogen. Linkerhand vom Eingang wohnte im Parterre der Kronprinz. Eine Diele führte zum Audienzzimmer, dahinter arbeitete er, ganz hinten schlief er. Über einen grünen Treppenläufer führte mich die Voss in die Beletage, wo links die großen Säle für Empfänge, Bälle, Redouten, Diners und Soiréen begannen. Luise residierte rechterhand.
    Vom Vestibül aus durchmaßen wir das Entrée, welches mit gelb und grau marmorierter Tapete ausgeschlagen und von acht schwarz lackierten Hohlspiegeln geschmückt war, und gelangten in ein Vorzimmer mit gelber Papiertapete, Blumenbordüren und gelbseidenen Gardinen. Es folgte ein Salon, grüner Atlas war an den Wänden

Weitere Kostenlose Bücher