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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Jetzt fangen Sie auch noch mit den Harfen an. Alle Polizisten, die uns verhörten, waren versessen auf die Harfe. Was hat das zu bedeuten?«
    »Wissen Sie denn nicht, dass die Mordopfer eine Zeichnung auf der Schulter hatten?«
    Die Waffe sank etwas in seiner Hand.
    »Was für eine Zeichnung?«
    »Ein Tatau! Eine Harfe! Ich habe es selbst an Anne de Pouquet gesehen.«
    »Warum sind Sie weggelaufen?«
    »Weil ich nicht gern verfolgt werde!«
    »Weil Sie sich der Verfolgung entziehen wollten!«
    »Ich glaube, mein Herr, dass jeder Verfolgte, der seine Verfolger bemerkt, danach trachtet, sich der Verfolgung zu entziehen! Sie reden wie ein Polizeispitzel. Dass Sie mir folgten, habe ich auf eine Meile gemerkt.«
    »Versprechen Sie mir, nicht wegzulaufen?«
    »Ich bin viel zu sehr an Ihrem Grund interessiert, mir hinterherzulaufen.«
    »Sie haben einen einfachen Spaziergang im Tiergarten machen wollen?«
    »Wenn Sie gestatten? Es wurde allerdings eine recht wilde Hatz daraus ...«
    »Das ist ziemlich ungewöhnlich, Madame! Bei diesem Wetter, ganz allein, eine Frau ...«
    »Sie haben recht. Auch sehr gefährlich. Es treibt sich viel Gelichter herum. Wie etwa entlaufene Festungshäftlinge.«
    »Wir sind nicht entlaufen.«
    »Dann hat also Distel Sie gekauft und auf mich angesetzt! Hat er Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt? Dass ich direkt von der Kronprinzessin zu einem geheimen Jakobinertreff unter verschneiten Tannen eilen würde? Was für eine malerische Vorstellung: rote Mützen, weiße Wipfel, Entführungs- oder Mordpläne ... Nur leider gänzlich verrückt! Ein Gedanke, auf den nur ein Polizeichef verfallen kann, der am Ende seines Lateins angelangt ist.«
    »Nennen Sie mir einen Grund dafür, dass ich Ihnen glauben sollte!«
    »Selbst unter Folter würde ich Ihnen keine Jakobinerfreunde angeben können.«
    »Weil Sie nicht als Verräterin in der Schlinge enden wollen. In der Schlinge Ihrer Mörderfreunde, der Royalistenhasser!«
    »Nein, nein! Ich bin an der Lösung der Harfenmorde ebenso interessiert wie der Polizeichef. Ich habe keinen einzigen Jakobinerfreund. Anne de Pouquet war eine gute Bekannte. Man hat meine Briefe an sie beschlagnahmt und ihre an mich.«
    »Sie war eine Royalistin!«
    »Ich kam mit ihr zusammen aus Paris. Wir flohen gemeinsam vor denen, mit denen ich angeblich gemeinsame Sache mache. Ich habe sie nicht ermordet! Allein die Vorstellung ist irrig.«
    Er ließ Mundwinkel und Pistole hängen.
    »Mon Dieu ... Ich bin Flötist, nicht Gendarm.«
    »Wie hat er Sie drangekriegt? Mit welcher Beschuldigung?«, fragte ich und bemühte mich, Wärme in die Stimme zu legen.
    »Dieser aufgeregte Präfekt ist wie der Teufel«, stöhnte er.
    »Ich bin Bertrand. Das da ist der Rest von Ballé! Das, was Sie übrig gelassen haben.«
    Der kleine Violinist ächzte einen Gruß. Bertrand fuhr fort:
    »Distel hat die Drähte in unser Quartier geschmuggelt. Es waren sicher nicht die Mordschlingen! Er kann uns nichts nachweisen; wir spielten in der Mordnacht beim Prinzen Ferdinand und kamen erst gegen Tagesanbruch zurück. Dennoch benutzt er uns. Und wir müssen für Kost, Logis und Handgeld noch dankbar sein. Es ist mehr als das Almosen,das die Musik einbringt. Was schlagen Sie vor, Madame? Sollen wir Sie nun zum Polizeichef begleiten?«
    Liebenswürdiger bin ich niemals eingeladen worden. Doch ich erwiderte:
    »Ich rate Ihnen: Verfolgen Sie mich einfach weiter, das sichert Ihnen Ihr Einkommen. Falls ich die bin, für die man mich hält, werden Sie es mit Ihrem Scharfsinn bei der Verfolgung sicher bald bemerken. Mich jetzt vor Distel zu schleifen, würde einen schlechten Eindruck machen, denn Sie haben nichts in der Hand!«
    »Geben Sie uns irgendetwas, das wir berichten können! Wir sind verdammt noch mal gezwungen, unsere Existenz zu untermauern!«
    »Sagen Sie dem Polizeichef, dass sich am Silvesterabend die Knoten lösen werden. Das sagt mir mein Gefühl.«
    »Aber, Madame, das ist doch völlig aus der Luft gegriffen!«
    Ich ließ die beiden stehen, ging, meinen Hut und Mantel zu holen, und sagte zum Abschied:
    »Nun, mag sein. Was liegt schon daran? Ich bin nun einmal Aeronautin!«

9
    Jérôme sah mich entsetzt an, als ich heimkam. Ich muss ausgesehen haben wie ein Gespenst. Ich erzählte ihm von meinem abenteuerlichen Nachmittag.
    »Wenigstens hast Du ihnen tüchtig eins verpasst! Oh, höchstes Wesen! Wenn ich nur dabei gewesen wäre ... Ich lasse dich künftig nicht mehr allein losziehen! Was allerdings dein

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