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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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würden es nicht für möglich halten, dass ein Geist drei Menschen ermordet?«
    Sein Blick wurde bohrend. Dann entspannte er sich und bat mich, die Bestuhlung mit ihm auszuprobieren. Wir setzten uns in die letzte Reihe und lauschten einen Augenblick den geschäftigen Dachdeckern.
    »Ich kann Ihnen mit einem Beispiel aus dem Leben antworten«, begann er. »Ein sehr frommer Handwerksmann, dessen tiefe Einsichten ich bewunderte, hatte einst einen hohen und vornehmen Freund, mit dem er oft sehr vertraut vom Zustand der Seelen nach dem Tod plauderte. Dieser Freund, der ihn wie einen Sohn behandelte, sah eines Tages das nahe eigene Ende voraus, und so verabredeten sie, dass er ihm, wenn möglich, nach seinem Tode erscheine. Etwa drei Wochen später wurde er ein Opfer des Fallbeils, das schon so viele unerlöste Geister fabrizierte – und der Handwerksmann trauerte sehr um den hingerichteten väterlichen Freund. Als er sich einige Zeit später abends um zehn Uhr in seiner Schlafkammer ausgekleidet hatte, ins Bett gestiegen war und noch wach darinnen saß, bemerkte er gegenüber an der Wand einen bläulichen Lichtschimmer, der sich zu einer menschlichen Figur bildete. Er fragte furchtlos:
Sind Sie es, Duc?
Vernehmlich bejahte der Geist und stand ihm getreulich in einigen Fragen Rede und Antwort. Noch mehrmals erschien er ihm seiner Versicherung zufolge – an der ich keinerlei Grund habe, Zweifel zu hegen. Meist war das Gespenst mitteilsam und sanftmütig, und nur einmal gab es einen Besuch, der fürchterlich war, doch es ist mir nie gelungen, die näheren Umstände zu erfahren. Der Handwerksmann trug einen Schmiss davon, als sei ihm eine Feuerrakete über die Wange gefahren. Geister sind sensibel ...«
    Dampmartin hielt inne, als verfolge er den Abgang eines letzten Schluckes guten Cognacs, um dann zu enden:
    »Von daher glaube ich schon, dass es möglich ist, dass einGeist einen Lebenden auch tötet. Wenn auch vielleicht nicht mit Schlingen und Messern, so doch durch den Schreck, den er auszulösen in der Lage ist. Ja, ich glaube, man kann am Schrecken sterben!«
    Es war Bewegtheit in seiner Stimme. Einer Eingebung folgend, sagte ich ihm auf den Kopf zu:
    »Dieser Handwerksmann ... gehe ich recht in der Annahme, wenn ich in ihm Ihren Bruder vermute und in dem Abgeschiedenen den Duc de Roux?«
    Er lächelte.
    »Was soll ich sagen? Sie scheinen über das zweite Gesicht zu verfügen!«
    »Auch stelle ich gerne Behauptungen in den Raum«, entgegnete ich, während mit den letzten Stühlen eben das geschah. »Wie dachten Sie über das Beschwören der Geister in der
Schule der Reinen
? Ihr Bruder war ein Gefolgsmann des Duc ...«
    »Sie wollen eine ganze Menge wissen, Madame.«
    »Oh, ich bitte Sie um Nachsicht! Mitunter reißt mich die weibliche Natur fort. Man hat mich oft gescholten dafür.« »Mein Bruder war, wie es zwischen Brüdern oft geschieht, was vielleicht sogar auf einer gewissen Gesetzlichkeit der menschlichen Natur beruht, das genaue Gegenteil in all seinen Auffassungen vom Leben. Ich will mir nicht jetzt, da er tot ist, all unsere unschönen Diskrepanzen wieder in Erinnerung rufen. Und Ihnen, Madame, davon zu berichten, wäre ein unverzeihlicher Fauxpas.«
    Er würde mir nichts über seinen Bruder erzählen. Er fühlte sich keineswegs behaglich bei diesem Thema, das sah ich. Sein Gesichtsausdruck blieb zwar unbewegt, doch während er sein glattes, schwarz glänzendes Haar mit einer schmissigen Bewegung des Kopfes nach hinten warf wie einen Lappen, sah ich die Furcht in seinen Augen.
    »Es heißt, Monsieur Dampmartin, der König komme morgen nicht nur wegen der Geister besänftigenden Harfenmusik in dieses Haus, sondern auch, weil er hoffe, dass Spektren gerufen würden: Gespenster, Geister! Vor allem den Geist seines geliebten, schon im Kindesalter verstorbenen Sohnes Alexander lässt er sich gern herbeizitieren. Man munkelt von einer sogenannten Séance!«
    Dampmartin erschien entsetzt. Farblos wie nur je ein Spektrum gewesen war, suchte er nach einer Entgegnung. Endlich entschied er sich für die Flucht nach vorn.
    »Ein weiterer unleugbarer Beweis für Ihre Hellsicht. Sie möchten sicher daran teilnehmen? Ihre Gegenwart könnte die Geister noch regsamer werden lassen.«
    »Das hoffe ich!«, entgegnete ich erfreut.
    Seine Augen strahlten unheilvoll. Alle Unsicherheit war von ihm gewichen. Ich nahm Abschied, nicht ohne mir noch einmal den roten Salon in seinem jetzigen Zustand einzuprägen. Das Bücherregal war

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