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Der rote Salon

Der rote Salon

Titel: Der rote Salon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
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Anne de Pouquets und der beiden anderen von einem Geist bewirkt wurde? Eine Séance? In der Nacht, in der es vor Geistern nur so wimmelt? Das kommt mir gefährlich vor!«
    Sie blickte aber keineswegs sehr furchtsam drein, eher neugierig.
    »Ich kann mir einen mordenden Geist nicht vorstellen. Aber wer weiß, ob die Erscheinungen, die an diesem Abend zu erwarten sind, wirklich harmloser Natur sind?«, fügte ich hinzu.
    »Oh!«
    »Man wird die Geister bändigen. Wenn es einem Geist vielleicht auch möglich sein sollte, einen Menschen zu töten, so werden zehn Menschen ihn doch im Zaum halten können!«
    »Ich hoffe es, meine Liebe!«
    Es war spät geworden, und die Prinzessin hatte Verpflichtungen. Der Dezember neigte sich dem Ende zu, und die Zahl der Bälle, auf denen die Frischvermählten zu tanzen hatten, stieg rapide an.
    »Wir werden uns am Silversterabend wiedersehen!«, versprach sie, als ich ging. Die herzlichsten Dankesbezeugungen für den Tee und die Ehre hatte sie mit einem Lächeln quittiert. Die Voss dagegen warf mir ein Höllenfeuer von Scheideblicken zu, als ich ihr in der dunklen Halle über den Weg lief.
    Da ich sehr aufgewühlt war, beschloss ich, durch den Tiergarten zu spazieren. Einen Bogen zum abgebrannten Haus in der Wilhelmstraße wollte ich schlagen, daher gedachte ich, einen Weg zu nehmen, der zum Potsdamer Tor führte. Dennoch könnte ich bis zu den Zelten wandern. Jérôme würde mich zwar dafür schelten, dass ich unser Café allein besuchte. Aber ich brauchte Bewegung.
    Ich überquerte das Quarré und spazierte durchs Brandenburger Tor, als eben der König hereinfuhr. Er kam von Charlottenburg oder sonst woher, seine Kutsche nahm die breite Durchfahrt in der Mitte. Die Wache salutierte, die Passanten verbeugten sich. Die Herren schwenkten die hohen Hüte. Ich auch. Ich war es gewohnt, dass man mir nachschaute, doch an diesem Nachmittag ertrug ich die aufdringlichen Blicke der beiden Bürger, die mir folgten, nicht länger und beschleunigte daher meinen Schritt.
    Der Boden war hart gefroren, allein der Neuschnee machte das Fortkommen leichter. Ich atmete die klare Luft und fühlte, wie ich ruhiger und gelassener wurde. Kurz verschnaufend, wendete ich mich vorsichtig um. Meine aufdringlich blickenden Verfolger hatten sich nicht abschüttelnlassen. Sie sahen mich und blickten einander an. Blieben ebenfalls stehen. Der eine deutete in den Himmel, wo aber absolut nichts zu sehen war. Waren es Müßiggänger und Parkwandler wie ich? Der Umstand, dass die beiden – einer klein, einer groß – aus den mannigfachen Möglichkeiten zweimal in Folge dieselbe Abzweigung wählten wie ich, irritierte mich erst, als wir die Gabelung vor den Zelten erreichten. Ich nahm zum Schein erst den breiten Weg und schlängelte mich dann um eine verschneite Tanne über einen kleinen Pfad zurück, den vor mir höchstens ein Hirsch, ein Hund und ein Jäger genommen haben mochten.
    Ich hielt den Atem an, als ich verharrte und um einen Stamm linste. Waren sie weitergegangen? Ein Kolkrabe strich mit heiserem Ruf über die kahlen Wipfel der Eichen. Jetzt hörte ich eiliges Knirschen im Schnee: Da kamen sie! Ich war wie gelähmt. Sie mochten noch etwa einen Steinwurf weit entfernt sein – einen
meiner
Steinwürfe, und verflixt: Wenn es etwas gab, worin ich schlecht war, dann Steinewerfen.
    Sie hatten innegehalten und sondierten die Gegend. Vergeblich suchte ich ihre Gesichter zu erkennen – ihre breiten schwarzen Halstücher waren bis über die Nasen hinaufgeschoben.
    Kurz dachte ich daran, einfach abzuwarten und mich hinter den Eichenstamm zu drücken. Eine törichte Idee, auf die man nur kommen konnte, wenn man es schaffte, die Spur im Schnee zu ignorieren. So nahm ich rasch meine Kopfbedeckung ab und steckte mir eilends das Haar hoch. Ich liebte meinen Hut, meinen Fuchsmantel nicht minder, und mein Herz blutete beim Gedanken, diese treuen Weggefährten zurückzulassen. Indes erschienen mir Freiheit, Unabhängigkeit und körperliche Unversehrtheit jetzt wertvoller.
    Ich sah einen kräftigen Stock in erreichbarer Nähe im Schnee liegen, und es gelang mir, ihn mit einem zweiten, kleineren heranzuziehen. Ich legte den Fuchs darüber und lehnte beides an den breiten Eichenstamm, der mich noch ein paar Sekunden vor dem Gesehenwerden schützen würde. Ich steckte den Filz obenauf und sagte der schlafenden Puppe Lebewohl. Es müsste so wirken, als sei ich am Ende hingesunken an die Borke.
    Ich mobilisierte alle Kräfte und

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