Der rote Salon
Gefühle ihr gegenüber auf das Schmählichste ausgenutzt:
Du sollst alles wissen und Dich nicht grämen. Es ist unmöglich, dass ich Dich eheliche. Denn ich bin nicht die, die ich vorgab zu sein. Aber ich will, dass Du mich verstehst, denn Deine Liebe hat mir mehr bedeutet als vieles in diesem schrecklichen Jahr ... Ich hatte mich über die Hintergründe der gescheiterten Flucht Ihrer Majestät durchaus informiert, um die schlimmsten Fehler bei der meinigen zu vermeiden: So war es nicht nur der angenommene Name einer de Pouquet, der mich vor Entdeckung schützte, sondern auch die Gesellschaft, in der ich reiste. Es waren gefallene Landadelige von schwer erklärlicher Herkunft und noch viel unklarerem Ziele, korrumpiert in vielerlei Hinsicht, nicht eben royal gesinnt, doch auch nicht gänzlich eins mit dem jakobinischen Mob ...
Ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen.
»Bodenlos unverfroren! Das hinterhältige Ding!«, entfuhr es mir angesichts dieser perfiden Falschheit.
Ich riss mir den Seidenschal vom Hals, den ich ihrem einstigen Besitz entnommen, dann aber mich zusammen und den Brief wieder vor die Augen. Mit erkalteter Stimme las ich weiter vor:
Doch immerhin brachten sie mich sicher nach Berlin, und ich kam auf dieser unbequemlichen Fahrt, die bei aller Armseligkeit immerhin den Vorteil relativer Unbetroffenheit vom absoluten Bodensatz des Daseins hatte, sogar einmal, auf Vermittlung eines Schreibers, den die gesunkene Marquise von früher kannte – bei einer Redoute im hübschen Park eines Provinzfürsten – in den Genuss, die künftige Kronprinzessin von Preußen zu sprechen.
Ohne mich zu erkennen zu geben ...
Ich stockte, denn was dort stand, konnte ich unmöglich vorlesen, und las nur:
»...
ein blutjunges zauberhaftes Geschöpf
...«
Das Folgende ließ ich weg und setze es jetzt hinzu: »...
will sagen: ein törichtes, vertändeltes Ding. Die alten Könige sind nicht mehr, und alles, was uns bleibt, sind ihre Geister. Ihnen allein habe ich mein Leben gewidmet, seit die Barbaren mir den Mann geraubt.«
Die Frau, die sich mir als Anne de Pouquet vorstellte und meines Mannes und meiner Obhut anvertraute, weil sie sich bei uns armen gefallenen Landadeligen sicher wähnte – ich erklärte es laut: »... war die Duchesse de Roux!«
Beatrice de Grève wurde rot vor Erregung.
»Nein!«
»Der Duc hat sie geheiratet, als sie siebzehn war. Sie war seit je
seine mystische Muse, das innerste Brennglas aller Erscheinungen
...«
Das waren ihre Worte, und ich musste die Schönheit der Formulierung neidlos anerkennen. Zugleich war mir nun klar, wer ihr in den Tagen vor Weihnachten erschienen war und sie in einen solchen Gefühlstaumel versetzt hatte: der Geist ihres Gatten!
»Alphonse Dampmartin und der Comte de Mâconnais-Rambouillon wurden von ihrem Mann zu ihren Beschützern bestimmt, doch sie trennten sich. Geheimen Zeichen folgend, die nur ihnen ersichtlich waren, trafen sie sich in Berlin wieder. Nahmen die Beschwörungen wieder auf. Doch dann geschahen Dinge, die aller spirituellen Versenkung und Konzentration entgegenliefen.«
Die Zuhörer rückten unruhig auf ihren rotgoldenen Polsterstühlen.
»Die Duchesse sah sich von zwei Männern verehrt, beide weit unter ihrem Stand: von Ihnen, Monsieur Bonneheure, das hat sie Ihnen in diesem Brief gestanden, um ihnen zugleich mitzuteilen, dass man einander niemals anders als im Geiste lieben dürfe, und von Ihnen, Monsieur de Paul! Das füge ich hinzu, da Sie es mir gestanden. Ihren wahren Namen indes finde ich hier erwähnt, denn die Duchesse suchte ihre Bekanntschaft, um Sie in einer prekären Angelegenheit um Hilfe zu bitten! Monsieur de la Maupadé! Sie bot Ihnen eine Menge Geld. Wer wäre da nicht schwach geworden.« Ich sah, wie sich aller Augen weiteten, und hörte, wie der König den Namen auf der Zunge wog wie Kaviar.
»De la Maupadé ... ?«
»... dessen neueste Komposition wir heute hören durften, so ist es! Ein Kompositeur, dem man noch im letzten Jahr in Paris und in Versailles zu Füßen lag.«
Ich fühlte, wie mir nun doch ein wenig die Knie weich wurden. Seit Stunden hatte ich nichts gegessen und getrunken.
»
Der
de la Maupadé?«, fragte der König unsicher.
»Sehr richtig. Hier im Exil nannte er sich anagrammatisch
Amadé de Paul!
«
Der Kompositeur war kalkweiß und verneigte sich ungelenk im Sitzen. Ich klammerte mich an die Seiten:
»Zugleich aber fiel der Comte, den ihr Gatte, der Duc, lange wie einen Sohn behandelt und
Weitere Kostenlose Bücher