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Der Rote Sarg

Der Rote Sarg

Titel: Der Rote Sarg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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Kirow Pekkala vor dem Büro ab.
    »Ich rufe Lysenkowa an«, sagte Pekkala. »Ich muss ihr sagen, dass sie sich die Suche nach den Agenten der Weißen Gilde sparen kann. Im Moment sollten wir uns ganz auf Zalka konzentrieren. Und Sie fahren zur Meldebehörde, vielleicht können Sie ja herausfinden, wo er wohnt. Aber versuchen Sie auf keinen Fall, ihn allein herzubringen. Wir müssen davon ausgehen, dass Zalka der Flüchtende im Wald war. Es sieht so aus, als hätte er ein Motiv für den Mord an Nagorski gehabt. Und dass er sich in der Anlage auskannte, würde Samarins Mutmaßung erklären, jemand Internes wäre der Mörder.«
    Während Kirow zur Meldebehörde fuhr, stieg Pekkala zum Büro hinauf und rief Major Lysenkowa an. Aus Angst, vom NKWD abgehört zu werden, bat er um ein persönliches Treffen mit ihr.
    Nach ihrer Ankunft klärte er sie über die Agenten der Weißen Gilde auf.
    »Sind Sie mit den chemischen Formeln weitergekommen, Inspektor?«, fragte Lysenkowa.
    »Das ist ein weiterer Grund, Zalka aufzuspüren«, antwortete Pekkala. »Wenn er noch am Leben ist, scheint er der Einzige zu sein, der uns helfen kann.«
    Lysenkowa erhob sich. »Ich mache mich sofort an die Arbeit. Und danke für Ihr Vertrauen, Inspektor. Es gibt nicht viele, die mir welches entgegenbringen. Sie haben die Gerüchte sicherlich gehört.«
    »Gerüchte gibt es immer.«
    »Na ja, Sie sollten wissen, dass manche davon der Wahrheit entsprechen.«
    Pekkala sah ihr in die Augen. »Ich habe gehört, Sie haben Ihre eigenen Eltern denunziert.«
    Lysenkowa nickte. »Ja, das habe ich.«
    »Warum?«
    »Weil mein Vater es mir so gesagt hat. Es war mein einziger Ausweg.«
    »Ausweg woraus?«
    »Aus einem Ort, den Sie gut kennen, Inspektor. Ich spreche von Sibirien.«
    Pekkala starrte sie an. »Aber ich dachte, sie wären nach Sibirien geschickt worden, weil Sie sie denunziert haben. Sie meinen, sie waren schon dort?«
    »Genau. Meine Mutter war aufgrund des Artikels 59 bereits zu zwanzig Jahren verurteilt worden.«
    »Ihre Mutter? Was hat sie gemacht?«
    »Meine Mutter war die einzige Aufseherin unter den Arbeitern des Leningrader Dampfturbinenwerks, die einzige Frau unter lauter Männern. Die Fabrik sollte eines der industriellen Vorzeigewerke in den zwanziger Jahren werden. Dorthin wollte man ausländische Gäste bringen, um ihnen die Leistungsfähigkeit der Sowjetunion vorzuführen. Stalin selbst hat sich bei der Werkseröffnung zum Besuch angemeldet. Das Problem war nur, dass man mit den Bauarbeiten im Verzug war, aber Stalin weigerte sich, seinen Besuch zu verschieben. Als die Fabrik also bereits den Betrieb hätte aufnehmen müssen, war noch kein einziger Traktor produziert. Die Haupthalle hatte sogar noch nicht einmal ein Dach. Und genau da wollte Stalin mit den Arbeitern zusammenkommen. Hier würde das Treffen stattfinden, ob mit oder ohne Dach. Am Tag seines Besuchs regnete es. Meine Mutter ordnete die Errichtung eines Podiums an, damit Stalin über der Menge stehen und über die Köpfe der Arbeiter hinwegblicken konnte. Außerdem gab es eine Plane, um ihn vor dem Regen zu schützen. Am Tag vor seinem Besuch trafen politische Berater ein. Über dem Podium hängten sie ein Banner auf.« Lysenkowa breitete die Arme über dem Kopf aus, als wollte sie den Text einrahmen. »›Lang lebe Stalin, der größte Freund der sowjetischen Werktätigen.‹ Aber es war nicht möglich, die Arbeiter vor dem Regen zu schützen, sie würden also nass werden. Eineinhalb Stunden standen sie und warteten auf Stalins Eintreffen. Mittlerweile lösten sich die Buchstaben auf dem Banner auf, die Farbe verlief, und rote Farbe tropfte vom Plakat und bildete rote Pfützen auf dem Betonboden. Als Stalin das Podium betrat, begannen alle, wie von den politischen Beratern angewiesen, zu klatschen. Nur wusste keiner, wann er wieder aufhören sollte. Alle nahmen an, Stalin würde es mit einer Handbewegung anzeigen oder einfach mit seiner Rede beginnen oder irgendwas tun, um ihnen deutlich zu machen, dass sie das Klatschen nun sein lassen konnten. Als der Applaus aufbrandete, stand Stalin nur da. Natürlich musste er wütend gewesen sein, da die Fabrik nur zur Hälfte fertig war, aber er zeigte seinen Zorn nicht. Er lächelte nur, während alle anderen bis auf die Haut nass im Regen standen. Rote Tropfen fielen vom Banner. Und das Klatschen nahm kein Ende. Die Arbeiter hatten Angst, einfach aufzuhören.
    So ging es über zwanzig Minuten. Meine Mutter war für den

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