Der rote Tod
die anderen. Ich' hab nie jemand anders oder mir selbst wehgetan, also haben die keinen Grund, mich hier reinzustecken.«
»Ist das wahr?«, fragte Oliver unseren Führer.
»Das is' wahr, so wie er das erzählt. Er hat sich selbst nie wehgetan oder anderen, aber die haben ihn hier trotzdem reingesteckt.«
»Warum? Wenn er nicht verrückt ist...«
»Oh, er is' verrückt genug, Sir, denn er war verantwortlich dafür, die Bäuche von 'nem Dutzend Rinder aufzuschlitzen. Sagte, er könne die Kälber drin rufen hören, dass se rauswollen, und er hat ihnen bloß geholfen, damit se nich' ersticken. Die hätten ihn in Tyburn fast gelyncht wegen dem Schaden, aber er wurde für zu verrückt erklärt, dass ihm das was bringen würde; also wurde er hergebracht. Wenigstens hat er keine Chance mehr, noch mehr Vieh aufzuschlitzen.« Indem er herzlich über seine Beobachtung lachte, tätschelte der Führer dem Burschen dem Kopf und ging weiter. Als ich zurückblickte, sah ich, wie der Junge uns eine mörderische Grimasse schnitt, gefolgt von einer obszönen Geste. Harmlos oder nicht, ich war froh zu sehen, dass er sicher am Boden fest gekettet war.
Der abscheuliche Gestank, der Lärm, die durchdringende Traurigkeit, Pein und Wut, die uns aus jeder Richtung überfielen, waren erschöpfend. Nach zwei Stunden begann selbst Olivers ernsthafter Wissensdrang nachzulassen, und er fragte, ob ich bereit wäre zu gehen. Aus Rücksicht auf seine Gefühle versuchte ich nicht zu eifrig zu erscheinen, gab ihm jedoch zu verstehen, dass ein Szenenwechsel mir nicht unwillkommen sei.
Er besprach sich mit dem Führer, und dieser brachte uns rasch zu dem Eingang, wo wir ihn bezahlten und eingeladen wurden, so bald wie möglich wiederzukommen. Darüber lachte er wieder, wodurch er uns den Eindruck vermittelte, dass er nicht etwa Gastfreundschaft, sondern etwas Unheilvolleres meinte. Wir waren bereits draußen und hatten den Weg hinter uns gelassen, als wir endlich in eine würdevollere Gangart verfielen.
»Was hältst du davon?«, fragte Oliver.
»Während ich es zu würdigen weiß, dass es eine seltene Gelegenheit war, das Innere zu besichtigen, wäre ich unehrlich zu behaupten, dass es angenehm war.«
»Ich bin der Erste, der mit dir in diesem Punkt überein stimmt, aber es war mit Sicherheit von exzellentem Wert für einen Studenten der Heilkünste. Ich hoffe, ich erinnere mich später an alles, für Tony.«
»Wenn nicht, dann konsultiere mich. Ich bin sicher, ich kann für den Rest meines Lebens kein einziges Detail mehr vergessen.
Ich hoffe, sein Faktotum behandelt meine Kleidung wie versprochen, denn der Gestank von diesem Ort haftet immer noch an mir. Ich möchte sie wechseln, aber was ich am liebsten möchte, ist ein anständiges Bad.«
»Nun, wenn du meinst, dass du eins brauchst«, meinte er, wobei in seiner Stimme einiger Zweifel zu hören war. »Ich bin sicher, dass etwas arrangiert werden kann vor der Party heute Abend. Es gibt das türkische Bad in Covent Garden, aber ich schätze, dass wir weder die Zeit noch den Geldbeutel dafür haben.«
»Wie viel kann ein bisschen Wasser und Seife schon kosten?«
»Sehr wenig, aber es sind die Extras wie Abendessen und der Preis der Hure, mit der du schläfst, die hinzukommen, und das kann bis zu sechs Guineen kosten.«
Ich vergaß Bedlam sofort völlig. »Wirklich?«
Oliver interpretierte meine Reaktion falsch. »Ja, das ist ekelhaft, findest du nicht? Selbst wenn du auf Bad und Essen verzichtest, verlangen die Flittchen da trotzdem ihre Guineen. Und die sehen auch nicht viel besser aus als die Damen, die in Vauxhall ihr Gewerbe betreiben, welche bedeutend vernünftigere Preise haben, wie ich hinzufügen darf.«
Mein Kopf begann sich zu drehen, während ich aufgeregt nachdachte. »Wo ist dieser Ort?«
Er winkte mit einer Hand. »Oh, er ist sehr leicht zu finden. Aber ein andermal vielleicht. Wir müssen wieder bei Tony sein, bevor dieser Barbier, den er uns versprochen hat, verschwunden ist.«
Das war einfach nicht fair. Ich hatte einen furchtbaren Nachmittag in Bedlam verbracht, während ich mich stattdessen wie ein Turban tragender Potentat in einem duftenden Badebecken hätte suhlen können, mit einer Menge schöner Wassernymphen, die sich um meine Bedürfnisse kümmerten. Obwohl Oliver und ich vieles gemeinsam hatten, schien es, dass unsere Meinungen, was praktische Bildung betraf, ziemlich auseinander gingen. Ich wollte ihn weiter über seine Erfahrungen in Covent Garden und
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